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Beuthner, Christine (1919 – 2003)

Christine Beuthner, geb. Schulz, setzte sich mit frauenpolitischem Engagement für Menschen in Not ein: für Flüchtlinge, Straffällige, Drogenkranke und für die Menschen ihrer Umgebung.

10.11.1919 in Königsberg – 29.1.2003 in Wittmund

Christine war die Tochter eines Kutschers in Königsberg. Als sich dem Vater die Gelegenheit bot, einen Hof zu pachten, siedelte die Familie mit den Kindern – Christine, ihrem jüngeren Bruder Heinz und einer Pflegetochter – nach Neuendorf über, einem Dorf vor den Toren Königsbergs. Christine arbeitete nach der Schule – Abitur hat sie nicht gemacht – bei einer Holzverarbeitungsfirma in Königsberg, machte eine Ausbildung an einer Berliner Fachschule zur Fürsorgerin und war danach als Betriebsfürsorgerin in dieser Firma tätig.

Ende Januar 1945, als die Front immer näher kam, die Flucht aber von den nationalsozialistischen Oberen noch nicht erlaubt war, verließ sie überstürzt mit Mutter, Bruder und der Pflegetochter der Familie im offenen Schlittengespann bei eisiger Kälte die Heimat. Mitgenommen wurden noch eine junge Frau und deren 18 Monate altes Kleinkind, das unter die mitgebrachten Federbetten gepackt wurde. Per Schiff von Pillau nach Kiel, dann über Gotha in Thüringen, von wo aus der Bruder wieder zu seiner Wehrmachtseinheit zurück musste, über Hamburg und Heide in Holstein kamen sie schließlich am 20.März 1945 in Bremen-Burg an.

Die 25jährige Christine, die sich für die kleine Gruppe verantwortlich fühlte, hatte zahlreiche Hindernisse auf der Flucht und vor allem ihre eigene zeitweilige tiefe Verzweiflung überwinden können. Sie war es, nicht ihre Mutter, die die Entscheidung getroffen hatte, in die ihnen völlig unbekannte große Handelsstadt Bremen zu fahren, als sich die Gelegenheit bot, statt in einen angeblich sicheren Ort in der Provinz, für den sie Fahrkarten hatten. Denn sie wollte möglichst schnell Geld verdienen und hoffte, hier in ihrem erlernten Beruf als Fürsorgerin eine Anstellung zu finden. Zunächst mit anderen Flüchtlingen in einem Kino in Bremen-Burg untergebracht, wurde ihnen über das Wohnungsamt ein „Zimmer“, ein ehemaliger Hühnerstall, den sie sich erst herrichten mussten, bei einer Familie zugewiesen. Dort mussten sie das demütigende Dasein einer zwangsweise einquartierten Flüchtlingsfamilie erleben. Um die eigene Bitterkeit und die ihrer Leidensgenossen zu mildern, erinnerte sie immer wieder daran, wie wenig begeistert die Ostpreußen seinerzeit die ausgebombten Berliner Familien empfangen hatten.

Nach verschiedenen Kurzzeitstellen gelang es ihr schließlich im April 1946, eine Anstellung als Fürsorgerin, beim Flüchtlingsamt in der Gustav-Deetjen-Allee in Bremen zu finden. Dort, in den ehemaligen Auswanderer-Gepäckhallen des Norddeutschen-Lloyd auf dem Gelände des Bremer Hauptbahnhofs, war sie in Tag- und Nachtschicht für die vorübergehende Unterbringung und Versorgung der eintreffenden Flüchtlinge und Heimkehrer zuständig. Bis 1950 übte sie diese Tätigkeit aus und lernte dabei viel menschliches Leid kennen.

1949 heiratete sie den kaufmännischen Angestellten Hans Beuthner (Jahrgang 1911), der Anfang der 30er Jahre allein von seinem Geburtsort Plauen in Sachsen nach Bremen übergesiedelt war. Nach dem Krieg fand er eine Anstellung im öffentlichen Dienst, wo er für das Beschaffungswesen im Zusammenhang mit Flüchtlingsunterkünften zuständig war. In diesem Rahmen lernten sich die beiden kennen. Christine und ihr Mann bezogen zwei Zimmer mit Küche in einem Bauernhaus in Lesum. Diese Wohnung konnten sie 1955 gegen eine Neubauwohnung in der neuen Wohnsiedlung „Up Willmanssland“ in Lesum eintauschen. Nach der Geburt des Sohnes Hans-Ulrich im Jahr 1950 gab sie zunächst die Berufstätigkeit auf, war aber in vielfacher Hinsicht ehrenamtlich tätig, z.B. in der von ihr 1949 in Lesum gegründeten Frauengruppe der Vertriebenen. Mit der gestaltete sie Theateraufführungen, musikalische Auftritte und sogar Sendungen bei Radio Bremen. Ein wichtiges Anliegen war es ihr dabei, das Selbstbewusstsein der „Flüchtlingsfrauen“ gegenüber dem teilweisen arroganten Auftreten der „Einheimischen“ zu stärken. Sie selbst hatte dieses anfangs am eigenen Leib erfahren. Im Lesumer Turnverein hatte man ihr nämlich ein einem Flüchtling angeblich nicht zustehendes zu forsches Auftreten vorgeworfen, nachdem sie eigenmächtig eine äußerst gelungene Vereinsfeier organisiert hatte. Sie hatte daraufhin den Verein verlassen, um erst viel später wieder einzutreten. Außer diesem Engagement gründete sie 1962 den Lesumer Frauenchor, war aktiv im Bremer Frauenausschuss, betätigte sich als Jugendschöffin und betreute an Sonntagen jugendliche Strafgefangene. Ferner nahm sie Kontakt zum Deutschen Hausfrauenbund (DHB) auf, dessen Ortsverband Bremen-Nord sie 1964 zu seiner Vorsitzenden machte. 1969 wurde sie sogar zur Bremer Landesvorsitzenden dieses Verbandes gewählt und blieb es bis 1980. In dieser Eigenschaft war sie aktiv an der Etablierung der „hafa“, der Verbraucher-Messe für Hauswirtschaft und Familie, beteiligt. Durch ihre Initiative wurde der DHB zum ideellen Träger dieser Messe, die bis 2007 einmal jährlich in der Bremer Stadthalle und auf der Bürgerweide stattfand, bis sie durch die Messe „HanseLife“ ersetzt wurde. Als Vorsitzende des DHB war Christine B. auch in die Arbeit der Hauswirtschaftlichen Beratungsstelle und der Verbraucherzentrale involviert sowie in die Tarifverhandlungen für Hauswirtschaftsmeisterinnen.

Hauptamtlich beruflich war die gelernte Fürsorgerin ab den 60er Jahren – inzwischen sagte man Sozialarbeiterin – in der Suchtberatung tätig, zuerst in Bremen-Stadt, ab 1971 als Leiterin der Zweigstelle Bremen-Nord für Alkohol-, Drogen- und Medikamentenabhängige. In einer dreijährigen Zusatzausbildung von 1976 bis 1979 im Rahmen einer kirchlichen Organisation in Göttingen bildete sich die über 50Jährige noch zur professionellen Suchtberaterin und Sozialtherapeutin fort. Neben der Arbeit mit Suchtkranken betrieb sie Paar- und Einzeltherapie – dies auch noch ehrenamtlich nach ihrem Ausscheiden aus dem Berufsleben. Im hohen Alter engagierte sie sich noch im Bürgerverein Lesum und war Mitglied in der „Planungszelle Lesum – Senioren gestalten ihren Stadtteil“.

Für ihre mannigfachen sozialen Tätigkeiten, ehrenamtlich und hauptamtlich, wurde sie zweimal vom Bundespräsidenten ausgezeichnet: 1974 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande und 1985 mit der nächsten Stufe, dem Bundesverdienstkreuz 1.Klasse. In beiden Ordensbegründungen wird ausdrücklich auf den frauenpolitischen Aspekt ihrer Arbeit hingewiesen. Sie habe „sich zum Ziel gesetzt, Frauen zur aktiven Mitarbeit zu bewegen … und fähig zu machen, in unserer heutigen Gesellschaft verantwortlich tätig zu sein (1974).“ Und 1985 formulierte die Bremer Senatskanzlei stellvertretend für das Staatsoberhaupt, sie habe viel dafür getan, „den Frauen ein besseres Selbstwertgefühl zu vermitteln.“[1] Ihr frauenpolitisches Engagement hatte sich auch in ihrer langjährigen Mitarbeit im Bremer Frauenausschuss, der Dachorganisation der Bremer Frauenverbände, gezeigt, dessen erste Vorsitzende sie von 1979 bis 1981 war.

Sie hatte viele Kontakte privater und beruflicher Art. Ihre Energie, ihre Offenheit, ihre Gabe, auf Menschen zuzugehen, imponierte und gefiel vielen. Jedoch, ihre natürliche Autorität, die Art, wie sie stets, ohne es zu wollen, die Aufmerksamkeit auf sich zog, mag auch mancher als zu dominierend erschienen sein. Ihr 80.Geburtstag im Jahr 1999 wurde in Lesum ganz groß gefeiert und der Weser-Kurier widmete ihr am 10.11.d.J. einen längeren Artikel mit dem Titel „In ihrem Leben hat sie oft Verantwortung übernommen.“

Von ihrem Mann hatte sie sich Anfang der siebziger Jahre getrennt, aber zu ihrem Sohn Hans-Ulrich, ihrer Schwiegertochter und den drei Enkelkindern hatte sie ein sehr gutes Verhältnis. Sie reiste oft nach Wittmund in Ostfriesland, wo der Sohn als Studienrat tätig ist. Das Weihnachtsfest des Jahres 2002 konnte sie nicht mehr, wie geplant, mit der Familie ihres Sohnes verbringen.

Sie starb an einer schweren Lungenentzündung in einem Wittmunder Krankenhaus im 84.Lebensjahr.

Dr. Renate Meyer-Braun

Anmerkungen:
[1] Ordensvorgang Christine Beuthner, StAB 4,63/1-111-22/1-184.

Literatur und Quellen:
Interview mit Christine Beuthner im Februar 1987 i.R. eines Seminars der Verfasserin an der Hochschule Bremen.
Schriftliche Auskunft des Sohnes, Herrn Hans-Ulrich Beuthner, im März 20015. Mündliche Auskunft einer Freundin von Chr. Beuthner im Dezember 2014.
Senatskanzlei Bremen Ordensvorgang Christine Beuthner hinterlegt im StAB 4, 63/1-111-22/1-184.
Staatsarchiv Bremen 9, S 3 Christine Beuthner.
Weser-Kurier 10.11.1999 „In ihrem Leben hat sie oft Verantwortung übernommen“.