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Ropp, Margaretha (1893 – 1974)

Margaretha Baronesse von der Ropp erfand in Notzeiten ein
Brotrezept und half notleidenden Mitmenschen. 

13.3.1893 auf einem Gut im nördlichen Litauen – 11.10.1974 in Bremen

Margaretha stammte aus einer alten deutsch-baltischen Adelsfamilie, deren Wurzeln bis in das 13.Jahrhundert zurückreichen. 1893 geboren, verbrachte sie ihre Kindheit auf dem elterlichen Gut Pommusch in Kurland, Baltikum, das zum russischen Zarenreich gehörte.

Die Unruhen und sozialen Veränderungen infolge der ersten russischen Revolution von 1905 bewirkten, dass sie mit Mutter und Schwester ihre Heimat verlassen musste und seit 1910 in Riga lebte; der Vater war 1909 gestorben. Hier wurde sie Schülerin an der Mädchengewerbeschule und nach einem sehr guten Abschluss dort auch Lehrerin. Anschließend arbeitete sie einige Zeit in einem Anwaltsbüro. Nach dem Sieg der Bolschewiki in der russischen Oktoberrevolution von 1917 und der Ausrufung der unabhängigen lettischen Republik im November 1918 war die Zukunft der deutsch-baltischen Oberschicht unsicher geworden. Deshalb floh sie abermals und fand eine neue Heimat auf einem Gut Manfred Graf von Lehndorffs in der Nähe von Königsberg in Ostpreußen.

Hier übte die couragierte und vielseitige junge Frau einen ganz andersartigen Beruf aus; sie wurde nämlich 1921 Gutsinspektorin auf einem der vier großen Güter von Manfred Graf von Lehndorff. Das war eine verantwortungsvolle Leitungsaufgabe, die bis dahin eine reine Männerdomäne gewesen war. Sie unterstützte den Grafen, der in Ostpreußen ein sehr bekannter Pferdezüchter und erfolgreicher Rennstallbesitzer war, intensiv bei der Pferdezucht, wozu gelegentlich, wenn Not am Mann war, auch das Ausmisten der Pferdeställe gehörte.

Adliger Lebensstil und feudale Hobbys hatten jedenfalls im Osten 1945 ein Ende. Was aber anhielt und nachhaltig wirkte, war eine andere Aktivität der adligen Inspektorin. Weil die Versorgungsnot, besonders in den Städten, nach dem 1.Weltkrieg groß war, hatte Margaretha von der Ropp die Idee, für die hungrige Königsberger Bevölkerung in größerem Umfang Brot backen zu lassen. Mit Einverständnis des Gutsherrn griff sie auf ein altes Back-Rezept aus ihrer baltischen Heimat zurück. Es unterschied sich grundsätzlich von den üblichen Herstellungsverfahren insofern, als statt Roggenmehl Roggenflocken verwendet wurden, wobei das Getreidekorn nicht gemahlen, sondern gequetscht wurde, so dass die wertvollen Bestandteile nicht verloren gingen. Auch das Backverfahren war ein anderes, schonenderes als üblich. Der gesamte Herstellungsprozess wurde als Patent angemeldet und vom Reichspatentamt angenommen. Das so hergestellte Brot wurde sehr beliebt, täglich an zahlreiche Geschäfte in Königsberg, auch ins übrige Reich und sogar ins Ausland geliefert. Die Lehndorffschen Güter wurden weitgehend auf Roggenproduktion umgestellt.

Als Teil des gutsherrschaftlichen Haushalts erlebte und durchlebte sie die große Erschütterung mit, die der Tod des ältesten Sohnes der Familie, Heinrich von Lehndorff, bedeutete. Er hatte zum Kreis derjenigen gehört, die am 20.Juli 1944 vergeblich versucht hatten, durch ein Attentat auf Hitler den Krieg zu beenden und damit Millionen von Menschenleben zu retten. Er wurde hingerichtet und seine Familie zeitweise in Sippenhaft genommen; auch sie soll kurzzeitig inhaftiert gewesen sein.

Die nächste große Zäsur in ihrem Leben war das Inferno nach dem Ende des 2.Weltkrieges. Erneut musste sie alles aufgeben und floh alleine mit zwei Pferden und einem Wagen vor der vorrückenden Roten Armee gerade noch rechtzeitig gen Westen. Unterwegs sammelte sie eine Anzahl von erschöpften Flüchtlingen auf, die das rettende Ziel aus eigener Kraft sonst nicht erreicht hätten. Nach wochenlanger strapazenreicher Flucht gelangte sie an ihr Ziel: den Fichtenhof in Bremen-Schönebeck. Er gehörte einer Nichte der Ehefrau Manfred von Lehndorffs und wurde 1945 zum Anlaufpunkt der gräflichen Familien von Lehndorff und von Dönhoff nach ihrer Flucht aus Ostpreußen. Heute ist der Fichtenhof Bestandteil der Einrichtungen der Bremer Heimstiftung. Die mitgebrachten Fluchtpferde verschafften ihr die Möglichkeit, in der ersten Nachkriegszeit als Fuhrunternehmerin in Bremen-Schönebeck Transportdienste zu leisten. Auch war sie sich nicht zu schade, bei Bauern zu arbeiten, um über die Runden zu kommen. Erfahrung mit der Landwirtschaft hatte sie ja.

Als ihr Bestreben, das Brotbacken wieder aufzunehmen, scheiterte, fand die überzeugte Christin eine Beschäftigung bei der Bremischen Evangelischen Kirche. Von 1946/47 bis 1963 arbeitete sie als hauptamtliche Mitarbeiterin bei der Evangelischen Vertriebenenhilfe. Zunächst in einem Raum Am Dobben 123, wo die „Norddeutsche Missionsgesellschaft“, geleitet von Erich Ramsauer, der sie bei der Gründung und Organisation der Vertriebenenhilfe unterstützter, dann von ihrem Büro in der Buchtstraße aus, vor allem aber durch zahlreiche Hausbesuche, bemühte sie sich, die Not von Flüchtlingen und Vertriebenen durch ganz praktische Maßnahmen wie Gründung eines Helferinnenkreises, Verteilung von Spendengütern, Einrichtung von Nähstuben ein wenig zu lindern. Die „Baronesse“, wie sie von allen genannt wurde, war wegen ihrer Güte, ihres Humors und ihrer Freundlichkeit allseits beliebt, auch wenn sie mit ihrer stattlichen Erscheinung, ihrer eindrucksvoll tiefen Stimme und ihrem robusten Auftreten recht streng wirkte. Die Kinder von Domprediger Tietz, dem Gründer und Leiter der Evangelischen Vertriebenenhilfe, mit dessen Familie sie freundschaftliche Kontakte pflegte, schätzten sie besonders wegen der vielen Geschichten, die sie zu erzählen wusste. Sie lebte 20 Jahre lang äußerst bescheiden in einem Zimmer einer privaten Pension für alleinstehende Damen am Schwachhauser Ring. Auch nach ihrem 65.Lebensjahr wirkte sie noch weiter in kirchlichem Auftrag.

Daneben aber bemühte sie sich nach Kräften, den Traum, die Produktion ihres Roggenflocken-Vollkornbrotes wieder aufzunehmen, doch noch zu verwirklichen. Und es gelang ihr tatsächlich. Sie scheute sich nicht, im Alter von 70 Jahren noch Unternehmerin zu werden. So gründete sie 1963 mit finanzieller Unterstützung durch die Witwe Heinrich von Lehndorffs die „Lehndorff Brot GmbH“, nachdem sie einen geeigneten Müllermeister, der nur nach ihren Angaben arbeiten sollte, in der Umgebung von Bremen gefunden hatte. Das Recht, den Namen Lehndorffbrot für ihr Produkt verwenden zu dürfen, hatte sie sich schriftlich von Manfred Graf von Lehndorff geben lassen. Nach einigen Rückschlägen finanzieller und anderer Art gelang der Durchbruch schließlich mit Hilfe eines jungen Bäckermeisters. Manfred Tenter, der von seinem Vater gerade das Geschäft „Bremer Brotfabrik“ übernommen hatte, ließ sich von den Vorteilen des neuen Backverfahrens überzeugen. Nachdem nach vielen Experimenten auch sichergestellt war, dass die Roggenflocken in der erforderlichen Qualität hergestellt werden konnten, ging es los. Das gesunde Lehndorffbrot wurde ein voller Erfolg und in den 70er Jahren das meistverkaufte Brot Bremens. Es konnte bis zum Verkauf von „Tenter`s Backhaus“ vor einigen Jahren in sämtlichen Tenter-Filialen erworben werden. Dass es dazu kommen konnte, ist neben der Qualität des Brotes ganz sicher auch auf die Überzeugungskraft dieser außergewöhnlichen Frau zurückzuführen, deren Hartnäckigkeit so manches Mal Müller- und Bäckermeister zur Verzweiflung gebracht, deren Konzept aber überzeugt und deren Persönlichkeit fasziniert hat.

Die „Baronesse“, die eigentlich noch bei guter Gesundheit war, starb als 81jährige unverhofft an den Folgen eines Oberschenkelhalsbruchs, den sich die eifrige Kirchgängerin durch einen Sturz an der Kirchentür der Bremer Martinikirche zugezogen hatte.

Dr. Renate Meyer-Braun

Literatur und Quellen:
Einzige Quelle sind mündliche Auskünfte und schriftliche Unterlagen, die Heinrich Lohmann, Vorsitzender der Bremer „Landsmannschaft West- und Ostpreußen e.V.“ für eine geplante Biografie über Margaretha von der Ropp gesammelt hat und die er der Verfasserin freundlicherweise zu Verfügung gestellt hat.
Lohmann, Heinrich: Das Lehndorff-Brot der Margaretha Baronesse von der Ropp, in: Heimatkalender des Landkreises Verden, Verden 2010, S.313-322.
Informationen von Peter Ramsauer, der sie als 14-Jähriger noch gekannt hatte.