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Susemihl-Gildemeister, Lissy (1862 – 1945)

22.8.1862 in Bremen – 8.2.1945 in Dresden

Lissy (Felicie) war die Tochter des Bürgermeisters und Reichstagsabgeordneten Dr. jur. Otto Gildemeister (1823-1902) und seiner Ehefrau Emma Marie Felicie, geb. Meyer (1838-1920). Aus ihrer Kindheit und Jugendzeit sind kaum Daten überliefert. Jedoch genoss sie als einziges Kind alle Anregungen und Vorzüge eines liberalen, intellektuellen Elternhauses. Sie besuchte eine Höhere Töchterschule, heiratete 1888 mit 26 Jahren den Konsul Franz Friedrich Susemihl (1857-1927)[1] und bekam zwei Töchter: Felicie (verh. Breyer, 16.9.1890 in Bremen – 16.8.1989 in Bad Neuenahr) und Maria (verh. Matthes, 20.6.1893 in Bremen – 9.9.1974) – und einen Sohn Otto Franz (30.6.1895 in Bremen – 1.10.1977 in Bremen).

Die vielseitigen geistigen Interessen, die sie als junges Mädchen gepflegt hatte, setzte sie auch während ihrer Ehe fort. Sie veröffentlichte in den Bremer Nachrichten und auswärtigen Zeitschriften zahlreiche Publikationen über Kunst und Literatur, war Mitherausgeberin der Bremischen Monatszeitschrift die „Güldenkammer“, in der sie mit den Arbeiten „Literarischer Neoimpressionismus“, Oktober 1910, „Dienstbotenfrage und Nöte“, März 1911 und „Von allerhand bremischen Gebräuchen“, November 1911, hervortrat. Mit dem Aufsatz „Deutsche Frauenarbeit in den Kolonien“, der am 11.11.1913 in den Bremer Nachrichten erschien, wandte sie sich mit Themen aus der Frauenbewegung an die Öffentlichkeit. Im Jahr 1922 gab sie die Briefe ihres Vaters Otto Gildemeister heraus.

Als der „Frauenclub von 1908″ gegründet wurde, gehörte Lissy Susemihl-Gildemeister zu seinen Mitinitiatorinnen. Sie vertrat innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung den konservativen rechten Flügel. Diese Position spiegelte sich auch im Programm des Clubs wider. In seiner privat gestalteten Atmosphäre bot er den Clubmitgliedern neben einer umfangreichen Bibliothek Vorträge, Vorlesungen, musikalische und tänzerische Darbietungen sowie kunstgewerbliche Ausstellungen. Ein Bezug zu dem heutigen, 1988 neu gegründeten „Bremer Frauen Club e.V.“ besteht allerdings nicht.

Im Jahr 1915 war sie Mitgründerin des Hausfrauenvereins Bremen e.V., dessen Anliegen die „Höherbewertung des Hausfrauenberufes“ war[2]. Besonders betont wurde die Funktion der Hausfrau als „Wahrerin und Verwalterin eines großen Teiles des Nationalvermögens, als Schützerin der Familie“. Der Verein lobte die Bedeutung des „Erziehungswerkes an der kommenden Generation „, das vorwiegend von Frauen geleistet wurde.[3] In diesem Zusammenhang ist auch Lissy Susemihls Haltung während des Ersten Weltkrieges zu sehen, als sie sich für die Aktionen der caritativen Hilfsorganisation des Deutschen Samariterbundes einsetzte, der die Soldaten an der Front praktisch und moralisch unterstützte. Sie wurde zur entschiedenen Widersacherin der pazifistischen Frauenbewegung, die sich gegen den Wahnsinn des Krieges wandte. Als die Pazifistinnen Auguste Kirchhoff und Adèle Schmitz im zweiten Kriegsjahr 1915 nach ihrer Teilnahme am Internationalen Frauen-Friedenskongress in Den Haag nach Bremen zurückkehrten und über die Ergebnisse des Kongresses in den Bremer Nachrichten berichteten, lösten sie eine große Protestwelle bei den Frauen aller bremischen Frauenvereine aus. Diese fühlten sich an die Vorgaben des „Bundes der Deutschen Frauenvereine“ gebunden, der sich strikt gegen die Teilnahme an diesem Kongress ausgesprochen hatte, weil er eine Solidarisierung mit den Frauen der „Feinde“ bedeutet. Lissy Susemihl-Gildemeister, ihre Tochter Felicie Breyer (1890-1989) u.v.a. bremische Frauen warfen den „Vaterlandsverräterinnen absoluten Mangel an patriotischer Gesinnung“ vor und riefen zu einer Unterschriftenkampagne gegen die Pazifistinnen auf, die am 28.5.1915 in den Bremer Nachrichten veröffentlicht wurde.[4] Nur sehr wenige Frauen, darunter Ottilie Hoffmann, die positive Erfahrungen mit internationalen Frauenkontakten gemacht hatte, distanzierten sich von diesem Aufruf.

Auch die Arbeit im „Frauenclub von 1908″ war während des Krieges den Soldaten gewidmet. Als sich seine finanzielle Situation in den Nachkriegsjahren verschlechtert hatte, musste der Club im Jahr 1922 geschlossen werden. Lissy S.-G. blieb trotzdem weiterhin öffentlich aktiv. Aufgrund ihrer umfangreichen schriftstellerischen Arbeiten wurde ihr 1927 das Amt der 2.Vorsitzenden in der bremischen Sektion der GEDOK angetragen, einem Künstlerinnenbund, in dem deutsche und österreichische Künstlerinnen organisiert waren.

Sie starb am 8.2.1945 in Dresden, wenige Tage vor dem Terrorangriff der Alliierten auf die sächsische Kunstmetropole, über die der Spiegel zum 50.Jahrestag 1995 berichtete: „Nachdem bis 1944 von den 60 deutschen Städten 45 zerstört waren, gehörte zu dem Rest, der noch erledigt werden mußte, Dresden.“[5] Sie hat diese Schreckensnacht vom 13. zum 14.2.1945 nicht mehr miterlebt. Ob es den Kindern gelang, ihren Leichnam noch rechtzeitig vor dem 13.2. nach Bremen zu überführen, um ihn im Familiengrab ihrer Eltern beizusetzen, ist nicht bekannt. Jedoch ist ihr Name auf dem Familiengrabstein neben dem Bildrelief des Vaters Otto Gildemeister rechts unten – hinter einem Rhododendronbusch versteckt – eingemeißelt. Am 16.2.1945, dem gleichen Tag, an dem in den Bremer Nachrichten über die Bombardierung Dresdens berichtet wurde, erschien auch die damals übliche, lapidare „gleichgeschaltete“ Todesanzeige, auf deren Gestaltung ihre Angehörigen keinerlei Einfluss mehr hatten.

Anmerkungen
[1] Bremer Nachrichten, 29.8.1932: Franz F. Susemihl kam als junger Mann aus Sachsen, um bei der Firma Wätjen und Co. die Lehre als Überseekaufmann zu absolvieren. Anschließend ging er, wie damals allgemein üblich, nach seiner Ausbildung für mehrere Jahre ins Ausland, nach Mexico, weshalb er nach seiner Rückkehr mexikanischer Konsul in Bremen wurde.
[2] Cyrus, Hannelore u.a. (Hrsg.), S.429.
[3] Bremer Nachrichten, 29.8.1932.
[4] Cyrus, Hannelore: Ein Weib wie wir? Bremen 1989, S.20.
[5] Spiegel. Nr.6,6.2.1995, S.45.

Literatur und Quellen
Bremer Nachrichten, 29.8.1932.
Cyrus, Hannelore: Ein Weib wie wir?, Bremen 1989
Cyrus, Hannelore: Susemihl-Gildemeister, Lissy, in: Cyrus, Hannelore u.a. (Hrsg.), Bremer Frauen von A bis Z, Bremen 1991, S.427.
Der Spiegel. Nr. 6,6.2.1995.
Domdey, Ute: Riensberger Gräber erzählen, Hrsg.: Bremer Frauenmuseum, Bremen 1997 (Dieser Text wurde hier entnommen).
Susemihl, Lissy (Hrsg.): Briefe von Otto Gildemeister, Leipzig 1922.

Ute Domdey