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Oldenburg, Anna von (1501 – 1575)

Anna von Oldenburg, Gräfin von Ostfriesland, setzte konfessionelle Neutralität als Grundlage einer friedlichen Koexistenz verschiedener Glaubensrichtungen durch.

14. November 1501 in Oldenburg – 24. September 1575 in Emden

Frauen gestalten Reformation

Die Jahre der Reifung

Gräfin Anna wurde als Tochter des Oldenburger Grafenpaares Johann V und seiner Frau Anna von Anhalt-Zerbst um 1500 geboren. Neben vier Söhnen war sie die einzige Tochter.
Über Annas Kindheit und Jugend ist wenig überliefert. Wir wissen, dass sie ihre Jugendjahre am Kurbrandenburgischen Hof verbracht hat. In den Herrscherhäusern war es Tradition, dass auch die Töchter eine gute Ausbildung erhielten. Dazu gehörte neben schulischer Bildung durch private Lehrer auch eine Ausbildung an einem befreundeten Fürstenhof. So lernten sie früh sich in fremder Umgebung zu bewegen und sich mit anderen politischen Verhältnissen vertraut zu machen. Den Grund dafür beschreibt die sächsische Staatskanzlei, mit folgenden Worten: Es konnte „sichs zu tragen kann/daß ein Fürstl. vnd Gräffliche Weibes Person, ( … ) in Vormundschaft ihrer Kinder zu einer Landesregierung gelangen kann“.1 Darauf sollten die Töchter vorbereitet sein. Dass genau eine solche Situation das Leben Annas prägen würde, konnten Annas Eltern allerdings kaum ahnen.

In den 1520er Jahren kehrte Anna wieder am Hof der Eltern zurück und erlebte dort die heftigen Auseinandersetzungen um den neuen Glauben. Die Reformation sorgte auch in Oldenburg für Unruhe. Der Graf und die Gräfin standen fest in der katholischen Religion. Unter den jungen Leuten aber gärte es. Es war vor allem Annas Bruder Christoph, der Luthers Schriften las. Nach dem Tod des Vaters 1526 wurde Christoph zu einer treibenden Kraft in der Protektion der Reformation. Er säkularisierte 1529 das Kloster Rastede und verlegte seinen Wohnsitz dorthin. Anna hatte immer schon zu diesem Bruder eine  besonders enge Beziehung und auch in Glaubensfragen hatte sie sich offensichtlich Christoph angeschlossen. Damit aber geriet sie in einen tiefen Konflikt mit ihrer strenggläubigen Mutter, die sich mit allen Mitteln reformatorischen Bestrebungen in Oldenburg widersetzte. Erst als ihr jüngster Sohn Anton 1529 die Regentschaft in der Grafschaft übernahm, wurden lutherische Geistliche in Oldenburg tätig.2 Diese jahrelangen Querelen haben sicherlich mit dazu beigetragen, dass Anna Christophs Engagement für ihre Eheschließung mit dem Grafen von Ostfriesland begrüßt hat. Am 24 September 1530 heiratete Anna den regierenden Grafen Enno von Ostfriesland gegen den ausdrücklichen Wunsch der Mutter. Seit 1530 residierte sie als Gräfin von Ostfriesland auf dem Stammsitz der Cirksena in Emden.

Werfen wir einen kurzen Blick auf diese Grafschaft am äußersten Rand des Heiligen Römischen Reiches. Kulturell und sprachlich war Ostfriesland mit den Niederlanden aufs engste verbunden. Zugleich gab es die räumliche Nähe zum kaiserlichen Hof in Brüssel. Von wo aus Kaiser Karl V kritisch beobachtete, was am Rande seines Weltreichs geschah.

Denn in dem kleinen „mindermächtigen“3 Herrschaftsgebiet zwischen Weser und Ems vollzog sich im 16. Jahrhundert eine politische und religiöse Entwicklung, „die im Heiligen römischen Reich deutscher Nation in dieser Form unbekannt war und ohne Beispiel blieb. Bereits im beginnenden Prozess der Reformation galt das Land als Hort einer relativ freien Religionsausübung: Katholiken, Lutheraner, Zwinglianer, Täufer und Spiritualisten standen hier phasenweise als gleichberechtigte Glaubensgemeinschaften nebeneinander und feierten ihre Gottesdienste, ohne daran von der ostfriesischen Herrscherfamilie, der Dynastie Cirksena, gehindert zu werden. “4

Gräfin Anna übernahm nach ihrer Eheschließung die traditionellen Aufgaben der fürsorgenden Hausfrau und Mutter. Die folgenden Jahre waren vor allem geprägt von Schwangerschaften. Bis zum plötzlichen Tod ihres Ehemannes 1540 hatte sie sechs Kindern das Leben geschenkt.5 Bis 1540 hatte die Gräfin die politische und religiöse Entwicklung der kleinen Grafschaft aus der geschützten Distanz des Emder Hofes beobachtet. Sie erlebte die Niederlage Graf Ennos in der „Geldrischen Fehde 1531-1534“. Der Häuptling Baltasar von Esens wehrte sich erfolgreich, gegen die Besetzung seines Harlingerlandes durch ostfriesische Truppen. Ebenso scheiterte der Graf mit dem Versuch über die Einführung einer Landeskirchenordnung nach lutherischem Ritus sein dynastisches Herrschaftsinteressen gegenüber dem Landadel durchzusetzen. Der Adel sah in dieser Kirchenordnung sein Selbstbestimmungsrecht gegenüber der Landesherrschaft bedroht und beharrte auf seinem Recht, in den eigenen Herrschaftsgebieten die Glaubensrichtung zu bestimmen.6

Die Ehejahre waren „quasi Jahre der politischen Reifung und Meinungsbildung in denen sich das Bewusstsein der Gräfin schärfte für die inner- und außerterritorialen Interessengruppen und in denen sie ein Gespür für die politische Dimension der Reformation entwickelte.“7

Eine Vormundschaftliche Regentin setzt sich durch

Doch nun 1540 musste geklärt werden wer in den nächsten Jahren in der Grafschaft die Herrschaft ausüben sollte. Aus einem Brief des Adeligen Hero von Oldersum geht hervor, „dass sich die Ostfriesischen Stände noch am Todestag des Grafen versammelt hatten, um über die Nachfolge im Land zu beraten. Danach hätten sich die ‚prelaten, Junckern und Amptluede zamt gemeine Stende des landes‘ einvernehmlich für die Gräfin als Vormundschaftsregentin entschieden, insbesondere deshalb, damit ‚lannd und luede‘ weiterhin friedlich miteinander leben könnten.“8 Doch die Übertragung der Macht an eine Frau, die erklärter Maßen dem reformierten Glauben zuneigte, war nicht einfach durchzusetzen.

Zwar stellten sich die Stände mit seltener Eintracht und Entschlossenheit hinter die Gräfin, die auch ihrerseits deutlich machte, dass sie die Regierungsgeschäfte für ihre Söhne übernehmen wolle, doch am Emder Hof residierte auch Annas Schwager der katholische Graf Johann, der seine Chance gekommen sah und seinerseits Regierungsgeschäfte an sich zog. Er erwirkte sogar vom Kaiser 1541 die offizielle Belehnung, als Tutor seiner Neffen, die Regentschaft über Ostfriesland zu übernehmen. Dagegen protestierten die Landstände und die Gräfin Anna gemeinsam.

Die Jahre zwischen 1540 und 1542 waren geprägt von einer regen Betriebsamkeit der Stände zur Durchsetzung der vormundschaftlichen Regierung in Ostfriesland unter Führung der Gräfin Anna. Auch die Gräfin selbst erhob den Anspruch stellvertretend für ihre unmündigen Söhne die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Einen Anspruch, den sie unmissverständlich auch gegenüber dem Kaiser deutlich machte. Sie zeigte, dass sie Konflikten auch mit dem Schwager nicht aus dem Weg ging.

Als Johann 1542 an den Hof der katholische Regentin der Niederlande berufen wurde, nutzte Anna seine Abwesenheit, sich in einem Brief an den Kaiser über Johann zu beschweren. Sie wies auf Eigenmächtigkeiten Johanns hin, die sehr zum „anleidlichen nachteil, schaden und verderben“ des Landes seien. Die Abwesenheit Johanns bot die Gelegenheit, dass sich die ostfriesischen Landstände offiziell mit der Gräfin darüber einigten, dass diese die zukünftige Vormundschaftsregierung rechtmäßig ausüben sollte.9 Das teilten sie auch dem Kaiser mit und ließen diesem „keine andere Wahl als die Witwe Graf Enno II als neue Regentin der Grafschaft Ostfriesland anzuerkennen.“ 10

Im Ringen um die wahre Religion – die politische, religiöse Identität des Territoriums

Diese Phase des Tauziehens um die Macht hatte den Blick der Gräfin für notwendige Regierungsmaßnahmen im religiösen und politischen Bereich geschärft. Unmittelbar nach dem Regierungsantritt leitete sie eine grundlegende konfessionelle Weichenstellung ein. Sie berief den polnischen Theologen Johannes a Lasco als Superintendent in die oberste Kirchenleitung in Emden.11 Obwohl a Lasco als landfremder Theologe die Landessprache nicht beherrschte schien er doch besonders wegen seiner intensiven Kontakte zu Zwingli in Zürich ein geeigneter Kandidat zu sein, den Zwist zwischen dem dominierenden reformierten Bekenntnis und der immer noch geltenden lutherischen Kirchenordnung beizulegen, um so den Weg für den organisatorischen Aufbau eines halbwegs geschlossenen ostfriesischen Kirchenwesens zu ebnen. Johann a Lascos wichtigstes Ziel war es, mit den Vertretern des Luthertums und den Reformierten ins Gespräch zu kommen. Aber auch mit Menno Simons und seinen Täufern ebenso wie mit katholischen Priestern gab es Disputationen. In diesen Fällen war es wohl das Ziel, die Aktivitäten beider Gruppen zurückzudrängen. Dabei war nie an eine Vertreibung der Mennoniten gedacht. Und auch die Säkularisierung der Klöster stand nicht im Vordergrund. Als a Lasco an die Gräfin herantrat, den katholischen Kultus zu unterbinden und die in der Großen Kirche hängenden frommen Bilder zu entfernen, bestand die Gräfin auf einem behutsamen Umgang: „Was die Bilder betrifft“, so die Gräfin, „wäre es uns lieb, dass dies bei Nacht, aber nicht alle zugleich entfernt werden und dass das tolle Volk nicht daran beteiligt werde.“12 Und so geschah es. Die Gilden hingen ihre früher gestifteten Altäre ab und nahmen sie zurück.

Unter dem Schutz der Gräfin bemühte sich a Lasco, ein Kirchenwesen zu schaffen, das eindeutig ausgerichtet war, in dem aber viele Platz finden konnten. 1544 berief er den Coetus ein, als verbindliches Beratungsgremium für alle protestantischen Prediger. Über drei Jahrzehnte lieb der Coetus ein Vermittlungsort zwischen den Bekenntnissen. Über die soziale und kirchliche Ordnung in der Gemeinde wachte der neue geschaffene Kirchenrat.

Auf der Basis von zahllosen Gesprächen und Disputationen formulierte Johannes a Lasco eine für beide reformatorischen Richtungen gemeinsame Bekenntnisschrift, die von Gräfin Anna als verbindlicher Text für Ostfriesland 1546 eingeführt wurde.

Gleichzeitig nahm die Gräfin die Formulierung einer Polizeiordnung in Angriff, die am 15.Februar 1545 publiziert wurde. Die einzelnen Bestimmungen konkretisieren das Armen- und Eherecht. Für das Schulwesen legt sie fest, dass auch die Mädchen eine schulische Ausbildung erhalten müssten. Beim Weinhandel und den Bierausschank sowie generell bei Geldverschwendung griff sie reglementierend ein. Doch das klar geregelten Gemeinwesen sollte nach dem Willen der Gräfin trotzdem ein offenes Land sein. Die Polizeiordnung schrieb deshalb vor: „Wenn jemand, der nur wegen seines Bekenntnisses zum Evangelium vertrieben ist, um Aufnahme bittet, so soll man ihm diese nicht verweigern, damit Stadt und Land sich an Einwohnern mehre.“13

Diese neuen Ordnungen regelten und festigten die politisch religiösen Verhältnisse Ostfrieslands. Sie bildeten ein Netzwerk, in dem die unterschiedlichen Konfessionsgruppen bis hin zu den Splittergruppen der Täufer miteinander existieren konnten. „Einträchtige Verschiedenheit“ unter diesem Leitthema fasste die Regentin ihre Landespolitik zusammen.

Politik unter dem Augsburger Interim

Die ostfriesische Grafschaft lag in unmittelbarer Nähe zur kaiserlichen Machtzentrale Brüssel. Die Gräfin war deshalb sehr darauf bedacht, dem Kaiser gegenüber Loyalität zu bezeugen. und blieb bemüht, in den Außenbeziehungen Neutralität zu wahren. Zwar trat sie in der eigenen Grafschaft für die evangelische Seite ein, schloss sich aber nie dem protestantisch deutschen Fürstenbündnis an. Trotzdem trafen auch das neutrale Ostfriesland, die religionspolitischen Entscheidungen des Kaisers. Karl V. hatte nach dem Sieg der Kaiserlichen Truppen über die evangelischen Fürsten 1548, eine rigorose Interimsordnung über das gesamte deutsche Reich verhängt, die unter anderem überall in den Kirchen wieder die Durchführung der heiligen Messe vorschrieb und nur der lutherischen Glaubensrichtung ein Existenzrecht zubilligte. Mehrfach appellierte die Gräfin an den Kaiser. Um für Ostfriesland mit seinen zahlreichen reformierten Gemeinden einen Kompromiss auszuhandeln, schickte sie einen ihrer fähigsten Beamten nach Brüssel. Sie rief die Stände des Landes zu einem Landtag zusammen, um gemeinsam über weitere Schritte zu beraten. Sie entschloss sich zu zwei demonstrativen Zunächst entließ sie Johann a Lasco aus dem Kirchendienst und entschloss sich zu einem weiteren demonstrativen Schritt: Sie erließ 1549 ein allgemeines Aufenthaltsverbot für die Täufer in ihrem Lande, „um auf diese Weise dem Kaiserlichen Hof in Brüssel den guten Willen zur Lösung der konfessionellen Gemengelage in ihrem Territorium anzuzeigen.“14

Wie schon in den Jahren zuvor beriet sie sich auch diesmal mit ihrem Bruder Christoph. Oft war dieser am Hof in Emden zu Gast gewesen, diesmal aber reiste die Gräfin nach Rastede. Die Gräfin stimmte dann zu, dass eine abgeschwächte Form des Interims formuliert wurde, das eine Gottesdienstordnung mit katholischer Liturgie und lutherischer Rechtfertigungslehre vorsah. „Das alles diente dazu, eine gewisse Außenwirkung vor dem Kaiser zu erzielen, um die Grafschaft aus der Kritik des Reichsoberhauptes herauszuhalten.“15 Denn im Land selbst wurde die Einhaltung der neuen Gottesdienstordnung kaum überwacht.

Planmäßige Konsolidierung der Macht – Ausbau des Territorialstaates

Unverkennbar verfolgte Gräfin Anna von Ostfriesland im Verlauf des Interims den Weg des Ausgleichs mit den verschiedenen religiösen Kräften weiterhin. Entschieden wandte sie sich in den Folgejahren dem inneren Ausbau des Territorialstaates zu. Nach und nach drängte sie die ständischen Kräfte aus den Schaltstellen der Regierung und besetzte die Stellen mit fähigen und loyalen Räten und landfremden bürgerlichen Beamten.

Dann kam in den 1550er Jahren auf die Grafschaft eine neue Herausforderung zu. Vor allem war die Hafenstadt Emden mit einem großen Flüchtlingsproblem konfrontiert. Der Befreiungskrieg der Niederlande trieb zahllose Menschen schutzsuchend nach Ostfriesland, und 1553 brachte Johann a Lasco weitere Flüchtlinge aus London nach Emden. Die niederländischen Glaubensflüchtlinge wurden Mitglieder der Emder Kirchengemeinde, in der die Mittelniederdeutsche Sprache gesprochen wurde. Den frankophonen Flüchtlingen gestattete die Gräfin die Gründung einer französischsprachigen Gemeinde. – Denn auch in Frankreich tobte der Glaubenskrieg.

Um die soziale Notlage der Flüchtlinge kümmerte sich „die Diakonie der Fremdlingen Armen“. Sie wurde „eigens für die Stadt Emden ins Leben gerufen. Sie hatte die Aufgabe die Organisation des Armenproblems zu steuern und war der institutionelle Rahmen für die Hilfe der Flüchtlinge untereinander. Auf diese Weise wurden die Armen unter den Flüchtlingen nicht zur Belastung der städtischen Armenkasse und ein drohender sozialer Konflikt vermieden.“16

Doch es blieben noch genügend ungelöste Probleme, für die finanzielle Mittel benötigt wurden. Vor allem musste Wohnraum für die Geflüchteten beschafft werden. Und die Gräfin wusste sich zu helfen, ja es war ihr offensichtlich ein willkommener Anlass, die Säkularisation der Klöster voran zu bringen. In ihrem Schreiben an die Mönche des Franziskanerklosters der Stadt Emden, wies sie auf die große Anzahl Menschen hin, die „aus anderen vnd frembden landen“ nach Emden gezogen seien und hier versorgt werden müssten. Deshalb sei es notwendig, das Kloster, das ohnehin nur noch von sieben Mönchen bewohnt werde, aufzulösen. Sie versprach den Mönchen, sie in anderen Klöstern des Landes unterzubringen. Hier in Emden aber solle das Kloster „tho einer scholen, thom Spital und Weysen huseren“ umfunktioniert werden.17 Was dann auch geschah. In den Folgejahren verwendete sie konsequent die Mittel aus der Säkularisierung der Klöster im sozialen Bereich und baute damit das Schulwesen in Ostfriesland aus.

Familienbande – Von der Einheit zur Teilung

Als Anna von Ostfriesland 1542 ihre vormundschaftliche Regentinnenschaft antrat, war der älteste Sohn erst zehn Jahre alt. In den folgenden Jahren war die Mutter sehr bemüht, alle Kinder zu einer toleranten Haltung in den Glaubensfragen zu erziehen. Alle verbrachten einige Zeit an Adelshöfen, die sich alle dadurch auszeichneten, dass dort ein offenes Klima gegenüber den verschiedenen Glaubensrichtungen herrschte. Besonders für ihren ältesten Sohn Edzard lehnte sie jeglichen „religiösen Enthusiasmus“ ab. Auch die beiden anderen Söhne Christoph und Johann, hatten religiös tolerante Pädagogen und studierten an der berühmten Straßburger Schule des Humanisten Johann Sturm. Auch ihr Bruder Christoph mit seiner toleranten Haltung beeinflusste die Erziehung der Söhne. Mit diesem Ausbildungskonzept verband sie die Hoffnung, das vor allem Edzard ihr Regierungskonzept der Konfessionsneutralität fortführen und weiter ausgestalten würde.

Doch es kam anders. Der schwedische König Gustaf I Wasa zeigte sich interessiert an einer ehelichen Verbindung der Dynastie Wasa mit der ostfriesischen Grafenfamilie Cirksena. 1556 erschienen zwei offizielle Vertreter des schwedischen Königshauses am Emder Hof, um über eine Hochzeit der ältesten Königstochter Katharina Wasa mit Graf Edzard zu verhandeln. Das war ein Prestigegewinn für die kleine Grafschaft. Zugleich war der Gräfin und ihren Beratern durchaus bewusst, dass diese Ehe die kleine Grafschaft in politische Abhängigkeit brachte. Denn Gustaf Wasa hatte mit seinen Heiratsplänen vor allem Emden ins Auge gefasst, als Stützpunkt der Schweden für die Auseinandersetzung mit Dänemark. Außerdem bedeutete eine eheliche Verbindung des zukünftigen ostfriesischen Herrschers mit einer strenggläubigen Lutheranerin eine Gefahr für die Fortdauer des politisch-religiösen Regierungskonzepts der konfessionellen Neutralität in Ostfriesland. Trotz aller Bedenken konnte der Heiratsplan nicht zurückgewiesen werden.

Angesichts dieser schwierigen Situation traf die Gräfin eine folgenreiche Entscheidung. Sie setzte eine Regelung ihres verstorbenen Ehemannes außer Kraft, die die Alleinregentschaft des ältesten Sohnes vorsah, indem sie 1558 festlegte, dass die Regierung über das Herrschaftsterritorium von ihren drei Söhnen Edzard, Christoph und Johann gemeinsam geführt werden sollte. Zumal Johann ein überzeugter Anhänger des reformierten Glaubens war. Sie nahm damit Edzard sein Recht auf alleinige Herrschaft.

Ohne die Mutter reisten die beiden Söhne Edzard und Johann zur Hochzeit am 1. Oktober 1559 nach Stockholm. Kaum war die Hochzeit vollzogen traf die Gräfin ein neuer Schicksalsschlag. Johann saß in Schweden im Gefängnis. Er hatte die Hochzeitsfeierlichkeiten genutzt und hatte eine Schwester der Braut „verführt“ (vergewaltigt?) und war dabei entdeckt worden. Sofort setzte die Gräfin alle Hebel in Bewegung, um den Sohn frei zu bekommen. Eine Delegation reiste nach Stockholm, der Kurfürst von Brandenburg und zwei Herzöge wurde um diplomatische Unterstützung gebeten.

Noch im Dezember 1560 kehrte Johann – der sich geweigert hatte, Prinzessin Cäcilia von Schweden zu heiraten – in seine ostfriesische Heimat zurück. Im Frühjahr darauf reisten auch Graf Edzard und seine Frau an. Und nun begann ein nicht enden wollender Bruderzwist, der sich sogar noch verschärfte, als der zweit geborene Sohn Christoph 1566 starb.

Das zähe Ringen um die dynastische Vorherrschaft manifestiert sich zunächst rein äußerlich, indem sich Edzard und Johann je eine eigene Hofhaltung zulegten und beide dann auch noch eigene Verwaltungsapparate um sich scharten. Die Gräfin hatte sich auf ihren Witwensitz in Greetsiel zurückgezogen.

Da die Anordnungen des einen Grafen häufig von dessen Bruder wieder rückgängig oder garnicht anerkannt wurden, entstand ein politisches Vakuum, in dem Konflikte mit den Landständen und vor allem mit der Stadt Emden vorprogrammiert waren. Das aber bot zugleich die Chance, dass die religiöse Vielfalt im Lande nicht angetastet wurde. Als die Gräfin Anna 1575 starb brach in Ostfriesland eine „herrschaftslose Zeit“ an, in der die Landstände die Verantwortung für die Landeswohlfahrt übernahmen und Emden ein eigenes Stadtregiment entwickelt. 18 Trotzdem hat Gräfin Anna von Ostfriesland ein bemerkenswertes Erbe hinterlassen: Inmitten von Glaubenskriegen, hatte sie eine Politik der Friedenssicherung und Friedenswahrung ermöglicht; ein im deutschen Reich beispielhaftes Herrschaftskonzept in ihrem Territorium realisiert. Sie setzte das Prinzip der konfessionellen Neutralität auf der Grundlage einer friedlichen Koexistenz verschiedener Glaubensrichtungen durch.

Dagmar Stuckmann

Anmerkungen
1 Heide Wunder, 2002, Dynastie und Herrschaftssicherung in der frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 28, Duncker und Humboldt, Berlin, S.9.
2 Tim Unger, undatiertes und unveröffentlichtes Manuskript, Die Reformation im Oldenburger Land, S. 10 – 11.
3 Janssen, Heiko Ebbel, 1998, Gräfin Anna von Ostfriesland – Eine hochadelige Frau der späten Reformationszeit, (1540/42 – 1575), Aschendorf, Münster, S. 1.
4 A.a.O. S. 1.
5 Kinder:
• Elisabeth, geb. 10. Januar 1531, gest.6. September 1555;
• Edzard II, geb. 24. Juni 1532, gest. 1. September 1599;
• Hedwig. geb. 29. Juni 1535, gest. 4. November 1616;
• Anna, geb. 3. Januar 1534, gest. 20. Mai 1552;
• Christoph, geb. 8. Oktober 1536, gest. 29. September 1566 (in Komárom, Ungarn)
• Johann, geb. 29. September 1538, gest. 29. September 1591.
6 Vgl. a. a. O., S. 64.
7 Vgl. a. a. O., S. 80
8 Vgl. a. a. O., S.81.
9 A. a. O., S. 84.
10 A. a., O. S. 85.
11 Für den folgenden Bericht, vgl. Klaas Dieter Voss, 2014, Eine „einträchtige Verschiedenheit“, Johannes a Lasco und die Neuordnung des ostfriesischen Kirchenwesens., in: Orte der Reformation, Emden, Journal 13, Ev. Verlagsanstalt Leipzig, S. 42-45.
12 Voss, Klaas-Peter, 2014, Eine „einträgliche Verschiedenheit“, Johannes a Lasco und die Neuordnung des ostfriesischen Kirchenwesens“, in: „Emden Orte der Reformation, Journal 13, Ev. Verlagsanstalt, Leipzig, S. 42.
13 Zitat aus dem Flyer, Diaconie der Fremdlingen Armen,o.J.
14 Janssen, Heiko Ebbel, 1998, a. a. O., S.119.
15 A. a. O., S.125.
16 Vgl. a. a. O. S.167.
17 A. a. O., S. 167-168.
18 A. a. O. S. 193-207.