Hanna Kunath war Pionierin der Luftfahrt und die erste Pilotin Bremens.
11. Juni 1909 in Bremen – 12. September 1994 in Seevetal
Hanna entstammte einer äußerst engagierten und sportlichen Familie. Ihr Vater Arno Kunath (1864 – 1936) war seit 1890 Turnlehrer des Allgemeinen Bremer Turnvereins, gründete in Bremen 1892 das Frauen- und Mädchenturnen, verfasste entsprechende Lehrbücher und hat sich damit sehr um den Frauensport verdient gemacht (s. Frauen im Sport). Er war verheiratet mit Frieda Wilhelmine Schindler (1880 – 1943), die schon als 4-Jährige eine begeisterte Schwimmerin war. Sie war die Tochter seines älteren Turnfreundes Carl Schindler, Naturkundelehrer an einer Höheren Lehranstalt in Bremen. In der Familie ist der Spruch überliefert: „Und meine Tochter trägt kein Korsett!“ Die beiden Herren wollten die Frauen und Mädchen aus bürgerlichen Zwängen befreien, ihnen vor allem Bewegungsfreiheit ermöglichen.
Hanna Gertrud war das vierte Kind von Arno und Frieda (geb. Schindler) Kunath und wesentlich jünger als ihre Geschwister. Ihr Bruder Arno Carl (1900 – 1939) war der Älteste, er starb aber bereits im Alter von 39 Jahren auf tragische Weise[1], Martha Maria (1902 – 1973) und Frieda Christiane, genannt Friedel (1903 – 1996), waren ihre Schwestern. Sie wuchsen in der Wernigeroder Straße 19 im Stadtteil Peterswerder in der Nähe zum heutigen Stadion auf.

Kunath-Kinder mit Hanna im Puppenwagen, 1909 ©Familienarchiv H.Hauser
Hanna war willensstark und durchsetzungsfähig und stand schnell im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die Atmosphäre in ihrer sportlichen und freiheitsliebenden Familie beflügelte sicherlich auch ihren Drang nach Freiheit, der sich in ihrem frühen Wunsch das Fliegen zu lernen manifestierte und half, diesen Wunsch trotz vieler Schwierigkeiten und Widerstände zu verwirklichen.
Ausgelöst durch das Erlebnis, dass ihr Vater und Bruder 1924 beim Flugtag des Bremer Flughafens fliegen konnten – sie aber nicht – wollte auch die 15-jährige Hanna das Fliegen lernen und begann, für ihr Ziel neben der Schule Geld zu verdienen. Nach Abschluss des Lyzeums und einer kaufmännischen Ausbildung, arbeitete sie zunächst für ihren Vater, dann ab 1929 in einem Versicherungsbüro, später in einer Spedition.
Neben ihrer beruflichen Tätigkeit verfolgte Hanna Kunath zielstrebig ihren Wunsch, das Fliegen zu lernen. So wurde sie 1932, mit 23 Jahren, erstes weibliches Mitglied im „Bremer Verein für Luftfahrt“ und erhielt Unterricht im Fliegen. Nach 100 Schulflügen unternahm sie am 13.August 1933 ihren ersten Alleinflug. Daneben lernte sie die Maschinen zu warten und zu pflegen. Nach Ausführung der vorgeschriebenen Ziellandungen, eines Geschicklichkeitsfluges, von Überland- und Höhenflügen auf einer Klemm L25 oder 26 war es dann am 30.August 1934 so weit: Hanna Kunath hielt ihren Flugzeugführerschein (A 2 Land) für Motorflugzeuge in Händen und war damit Bremens erste Fliegerin und eine von 25 Frauen, die die männliche Domäne der Fliegerei zu erobern begannen. Zu dieser Zeit arbeitete sie als Sekretärin auf der „Bremer Kampfbahn“, dem Vorläufer des Bremer Weser-Stadions. Nicht nur dort, wo die NSDAP das Stadion für Aufmärsche nutzte, auch in der Fliegerei hatte der Nationalsozialismus zu entscheidenden Veränderungen geführt. Das Nationalsozialistische Fliegerkorps (NSFK) hatte die Führung übernommen und schulte das Fliegen in paramilitärischer Absicht. Daran wollte Hanna Kunath sich nicht beteiligen. Sie verlegte sich auf den Segelflug und erhielt 1938 ihren Segelflugschein. 1939 nahm sie an einer Segelflug-Rallye, dem „Küstenflug 1939“, mit Ziel Wyk und Föhr teil und belegte den 3.Platz.
Sie war die einzige der frühen Pilotinnen, die nicht mit den Nazis zusammenarbeitete. Sie weigerte sich, Flugzeuge von der Fabrik an die Front zu überführen, wofür sie gute Gründe hatte: ihr älterer Bruder Arno Carl Kunath war Rechtsanwalt und hatte sich im Juni 1939 das Leben genommen, als er erfuhr, dass die Gestapo seine Kanzlei durchsucht hatte. Er hatte versucht, Juden zu verteidigen und Gelder für sie in die Schweiz zu bringen. Nachdem die Todesanzeige in Bremen erschienen war, wurde Hanna aus der Verwaltung der Bremer Sportstätten entlassen.
Mit Kriegsausbruch wurde das Sportfliegen dann nahezu unmöglich. Hanna Kunath leitete nun in Bremen eine Frauen-Segelfluggruppe und bildete bis 1943 ehrenamtlich Mädchen und Frauen in der Segelfliegerei aus.
Nach Kriegsende war die Fliegerei bis 1951 verboten. Trotzdem gelang es Hanna Kunath, heimlich wieder zu fliegen. Sie engagierte sich für die Wiedereinführung und den Wiederaufbau der Fliegerei in Bremen, besorgte Spenden für Flugzeuge und Flugplatzeinrichtungen, kümmerte sich um Flugzeugzulassungen und Wettbewerbe, schrieb für die Tagespresse und fotografierte. Ihren ersten Flug unternahm sie mit der Segelfliegertruppe der britischen Armee und erneuerte 1951 ihre Lizenz für Segelflug. Vier Jahre später hielt sie als erste Frau in Deutschland nach dem Krieg das Leistungsabzeichen des Segelfluges „Silber-C“ in Händen, und erneuerte 1956 auch ihren Motorflugschein. „Ich bin überzeugt, wer tüchtig ist und wer was kann, der wird sich immer durchsetzen … Nur: Frauen müssen immer mehr leisten als Männer!“ wusste sie schon.
Als 1968 die Vereinigung Deutscher Pilotinnen e.V. (VDP) für deutsche Berufs- und Privatpilotinnen gegründet wurde, war es für Hanna Kunath keine Frage, dort Mitglied zu werden, denn gegenseitige Unterstützung, Vernetzung und Traditionspflege in der Fliegerei waren auch ihre Anliegen. Zwei Monate nach der Gründung wurde sie mit ihrem eigenen Flugzeug vom Typ Emeraude als 17.Mitglied aufgenommen. Zehn Jahre war sie in der VDP als Referentin für Presse und Werbung tätig. Darüber hinaus betreute sie verantwortlich die Regionen Bremen, Niedersachsen und Hamburg und bewirkte in dieser Funktion, dass 1979 die Jahreshauptversammlung der VDP in Bremen stattfinden konnte. Insgesamt 54 Fliegerinnen, fast ein Drittel der Mitglieder, folgten der Einladung und flogen mit eigenen oder Vereinsmaschinen den Bremer Flughafen an.
Hanna Hübner-Kunath, wie sie seit 1970 nach ihrer Heirat mit dem Hamburger Kaufmann und Vereinsmitglied Werner Hübner hieß, war nun neben Elly Beinhorn die älteste aktive Fliegerin Deutschlands, und blieb bis zu ihrem Tode im Jahre 1994 aktiv in der Luft. Noch mit 82 Jahren reiste sie in ihrem Wohnmobil zu Fliegertreffen in ganz Europa. „Ich bin nur aus Freude an der Sache geflogen – ohne jeden Ehrgeiz. Nur dieses ‚Nach oben‘ bedeutet mir so viel. Dieses Freisein in der Luft, das ist es“, beschrieb sie 1992 ihre Motivation zum Fliegen.
Sie ist im Familiengrab auf dem Riensberger Friedhof beerdigt. In der Bremer Neustadt ist in der Nähe des Flughafens 1995 die Hanna-Kunath-Straße[2] nach ihr benannt worden. Ihr Nachlass ist an das Staatsarchiv in Bremen gegangen. Eine Ausstellung des Deutschen Museums in München über frühe Pilotinnen wurde 2017 im Fliegerhorst Nordholz gezeigt, ergänzt durch zwei Vitrinen mit Preisen und Medaillen und anderen Urkunden von Hanna Kunath.
Regina Contzen
März 2020
Anmerkungen:
[1] Arno C. studierte in Marburg Jura und war Mitglied in der national gesinnten Studentenverbindung Arminia. Kurz vor seinem Examen erkrankte er an Kinderlähmung und musste ein ganzes Jahr in Sanatorien verbringen. In dieser Zeit änderten sich offenbar seine Einstellungen, er hat als Rechtsanwalt Juden im Gefängnis besucht und versucht, sie zu verteidigen. Als er im Juni 1939 erfuhr, dass die Gestapo seine Kanzlei durchsucht hatte, nahm er sich das Leben.
[2] Die Kunathstraße im Stadtteil Peterswerder ist nach ihrem Vater Arno Theodor Kunath benannt. Am Bremer Flughafen gibt es die nach Hanna Kunath benannte Hanna-Kunath-Straße.
Quellen:
Dr. Hadwig Hauser, Nichte von Hanna Kunath.
Maria Hermes: Fliegende Frauen. Weibliche Piloten in der Geschichte der Luftfahrt. Vortrag am 23.Januar 2010, www.bremer-frauenmuseum.de/Vorträge.
https://pilotinnen.de/berichte/hanna-huebner-kunath/Abruf 3.3.2020.