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Tobias, Adele (1872 – 1941)

Adele Tobias (1872 – 1941)

war eine der ersten in Bremen niedergelassenen Ärztinnen

Adele Tobias wurde als drittes von sieben Kindern in Brake/Unterweser geboren. Ihr Vater Ernst Tobias war ein wohlhabender Reedereikaufmann, spezialisiert auf die Ausrüstung von Segelschiffen.

Wie sie die ersten zwei Jahrzehnte ihres Lebens verbrachte, vor allem welche Schul- oder Berufsausbildung sie genoss, wissen wir nicht. Möglicherweise hat sie, wie es viele Medizinstudentinnen ihrer Zeit taten, zunächst einen der wenigen höheren Berufswege eingeschlagen, die damals einer Frau offen standen, und ist über den Umweg eines Lehrerinnenseminars zum akademischen Studium gekommen.

Zwar hatten in Preußen bereits 1896 die ersten sechs Frauen das Abitur abgelegt. Dennoch war der reguläre Besuch eines Gymnasiums für Mädchen bislang nicht möglich. Die notwendigen Kenntnisse mussten sie sich in Privatstunden aneignen, was hohe Kosten verursachte. So mag es auch bei Adele Tobias gewesen sein.

Erst im Jahre 1902, also mit 30 Jahren, bestand sie im Gymnasium zu Hann.-Münden ihr Abitur als auswärtige Schülerin. Im Jahresbericht des Gymnasiums wird mitgeteilt, dass in jenem Jahr sechs sog. Externe das Abitur bestanden, darunter „ein junges Mädchen“ – war das Adele?

Zwar hatte der Bundesrat 1899 beschlossen, Frauen zum medizinischen Staatsexamen zuzulassen. Das schloss aber nicht zwingend das Recht auf Immatrikulation, also Teilnahme an akademischen Veranstaltungen, ein. In Preußen, zu dem Göttingen gehörte, waren bis 1908 nur Gasthörerinnen zugelassen, die zudem jedes Semester aufs Neue die einzelnen Dozenten um Genehmigung bitten mussten. Unter diesen erschwerten Bedingungen studierte Adele Tobias 1902 bis 1905 in Göttingen Medizin und bestand 1905 das Physikum.

Anschließend wechselte sie die Universität und ging nach Heidelberg. Im Großherzogtum Baden war Frauen schon seit 1900 ein reguläres Medizinstudium erlaubt. Von den 39 Medizinstudentinnen, die es im Jahre 1902 in Deutschland gab, studierte daher über die Hälfte in den badischen Universitäten Heidelberg und Freiburg. Adele bestand 1908 das Staatsexamen, und es wurde ihr die Approbation als Ärztin erteilt.

Es vergingen dann noch weitere fünf Jahre bis zu ihrer Promotion im Jahre 1913. Ihre Dissertation trug den Titel „Zur Prognose und Ätiologie der Kinder-Hysterie“.

Ihr Doktorvater Prof. Dr. Emil Feer, der ein anerkennendes Vorwort zu der gedruckten Arbeit schrieb, leitete von 1907 bis 1911 die Heidelberger Kinderklinik. Sein Lehrbuch für Kinderheilkunde aus dem Jahre 1911 blieb über viele Jahre ein Standardwerk.

Adele Tobias‘ Arbeit ist vom Inhalt her heute eher als überholt anzusehen. Der Begriff Hysterie, damals sehr en vogue, ist heute veraltet, die beschriebenen Krankheitsbilder würde man heute anderen Diagnosen zuordnen. Modern mutet dagegen die theoretische Vorgehensweise an. Sie hat sämtliche Krankenakten aus der Heidelberger Kinderklinik mit der Diagnose Hysterie aus dem Zeitraum 1885 bis 1903 ausgewertet und durch systematische Befragung die weitere Entwicklung der Kinder verfolgt.

Adele Tobias, inzwischen bereits 41 Jahre alt, wurde 1913 die erste Assistenzärztin an der Bremer Krankenanstalt in der St. Jürgen-Straße, als einzige Frau von insgesamt zehn Assistenzärzten. In den folgenden Jahren bis 1917 kamen noch einige wenige Assistenzärztinnen hinzu. Allerdings darf nicht unerwähnt bleiben, dass im sog. Irrenasyl, der seit 1900 aus dem Krankenhaus ausgegliederten psychiatrischen Abteilung, schon seit 1906 regelmäßig Assistenzärztinnen tätig waren, allen voran Dr. Anna Stemmermann, die Pionierin unter den Bremer Ärztinnen.

Der weitere berufliche Werdegang von Adele Tobias ab 1918 lässt sich anhand der Bremer Adressbücher nur teilweise rekonstruieren, da dort ab jetzt die Angaben zu Assistenzärzten fehlen.

Bis 1920 hatte Adele Tobias eine Wohnung in der Krankenanstalt, ab 1921 ist sie mit der Adresse Rembertistr. 91 im Einwohnerverzeichnis vertreten.

Erstmals taucht sie 1925 auf der Liste der niedergelassenen Ärzte auf, mit der Adresse Rembertistr. 102, als eine von fünf praktizierenden Ärztinnen. Neben der bereits erwähnten Dr. Anna Stemmermann (1908 bis 1920 einzige in Bremen niedergelassene Ärztin) waren dies Dr. Luise Börger (seit 1920), Dr. Erna von Arnim (Frauenärztin, seit 1921) und Dr. Anna Bucksath (ebenfalls seit 1925).

Weitere Angaben zu ihrer Berufstätigkeit liegen leider nicht vor. Die Praxis Tobias existierte bis zu ihrem Tode. Lt. Angaben der Datenbank der Berliner Charité verstarb sie am 24.2.1941.

In dem neu angelegten Hulsberg-Viertel, auf dem Areal der ehemaligen St- Jürgen-Klinik, wird es eine Adele-Tobias-Straße geben.

Marion Reich
April 2021

Quellen
Landesarchiv Oldenburg, Kirchenbucheintrag Adele Tobias
https://www.wesermarsch-maritim.de/post/tobias-walfang, Abruf 9.3.20
Schöck-Quinteros, Eva: Buten und Binnen, 1997, darin „In Bremen war sie die erste Ärztin“ Dr. med. Anna Stemmermann 1874-1928
Dokumentation „Ärztinnen im Kaiserreich“, Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin, Charité Berlin, Eintrag Adele Tobias
Bremer Adressbuch, Ausgaben 1906 bis 1941