Kaisenhaus: Bezeichnung für ein kleines, schlichtes Wohnhaus im Kleingartengebiet. Ein „Wohnen auf Parzelle“ wurde in der Zeit nach dem 2.Weltkrieg durch einen Erlass des damaligen Bürgermeisters Wilhem Kaisen (1887 – 1979) ermöglicht, um den damaligen katastrophalen Lebensumständen entgegen zu wirken.
Der im Dezember 2007 gegründete – „Verein zur Förderung des Dokumentationszentrums Kaisenhaus“ (jetzt: Verein Kaisenhäuser e.V. – Kaisenhaus-Museum Waller Feldmark) ist auf eine Initiative des Bremer Frauenmuseums e.V. zurückzuführen. Unterstützung fand das Projekt vom Bremer Zentrum für Baukultur, von Mitgliedern aus dem Waller Beirat, dem Geschichtskontor im Kulturhaus Walle Brodelpott, von der Historikerin Kirsten Tiedemann und weiteren Personen. Positive Signale gab es auch vom damaligen Bürgermeister Böhrnsen und ideelle Unterstützung kam vom Kleingartenverein „Union“. Das Ziel des Vereins, ein sogenanntes Kaisenhaus in der Waller Feldmark, Behrensweg 5a, vor dem Abriss zu bewahren und zu einem Erinnerungsort für eine Form des Lebens und Wohnens in den Nachkriegsjahren zu machen, konnte realisiert werden.
Cecilie Eckler-von Gleich, die mit zu diesem Kreis gehörte, berichtete: „Das Haus wurde uns von der Familie Kopmann, ehemals begeisterte Kaisenhausbewohner, geschenkt. Nach der Sanierung mit Mitteln der Stiftung Wohnliche Stadt, dem Beirat Walle und mit Impulsmitteln der Bremischen Bürgerschaft, wurde das Haus im April 2012 eröffnet.“ Ein ausführliches Konzept „Wohnen auf Parzelle – das Kaisenhaus“ wurde von der Historikerin Kirsten Tiedemann erarbeitet, für deren Weiterbeschäftigung leider bislang keine Mittel zur Verfügung stehen.
Am 8. Oktober 2012 konnte im Kaisenhaus (Am Behrensweg 5a) die Ausstellung zur Geschichte der Kaisenhäuser eröffnet werden. Darunter befindet sich ein Beitrag, der die Leistungen der Frauen im Überlebenskampf in der Nachkriegszeit thematisiert.
Das Kaisenhaus ist von April bis Oktober geöffnet. Kontakt: Brodelpott
Literatur:
Bremens Kaisenhäuser – Mehr als ein Dach über dem Kopf, Kirsten Tiedemann,
Band 16 der Schriftenreihe des Bremer Zentrums für Baukultur.
Frauen leisten Überlebensarbeit
Dass es in der Mangelgesellschaft der Nachkriegszeit nicht noch mehr Elend, Krankheit und Hungertod in großem Ausmaß gab, lag zu einem guten Teil am Einsatz der Frauen. Sie fühlten sich für ihre Familien verantwortlich und leisteten durch Einfallsreichtum, Einsatz- und Opferbereitschaft wahre Überlebensarbeit. Zu sozialen Urruhen oder gar Widerstandsaktionen gegen die Besatzungsmacht, die die Amerikaner wegen der katastrophalen Versorgungssituation nicht für ausgeschlossen gehalten hatten, kam es nicht. Allerdings gab es im Winter 1947 Protestversammlungen von Frauen vor dem Rathaus, wo sie in Sprechchören immer wieder „Gebt uns Kohle!“ riefen.
Die Beschaffung bestimmter Nahrungsmittel wie Kartoffeln und Gemüse war für Parzellenbewohner nicht das Problem. Die Frauen bemühten sich, bei der Gartenbestellung Überschüsse zu erwirtschaften, um diese zu verkaufen bzw. für dringend benötigte andere lebensnotwendige Dinge wie Baumaterialien oder Schuhe für die Kinder einzutauschen, vielleicht sogar auf dem Schwarzen Markt in der Nähe des Hauptbahnhofs, wozu ein weiter (Fuß)Weg in Kauf genommen werden musste. Schlangestehen, um die schmalen Rationen an Fett oder Teigwaren auf Lebensmittelmarken zu erstehen, gehörten zur täglichen Hausarbeit. Manch eine Frau hat spätabends und nachts noch auf Bestellung genäht, um die Familie besser durchzubringen.
Auch Hamsterfahrten in die ländliche Umgebung für ein bißchen Butter oder Milch haben Parzellenfrauen unternommen. Bei Kochrezepten waren sie äußerst kreativ und einfallsreich. Auch in psychischer Hinsicht leisteten Ehefrauen und Mütter ein Stück Überlebensarbeit: Sie sorgten z.B. für ein wenig Behaglichkeit in den kargen Behausungen und sie bauten ihre aus dem Krieg heimgekehrten, teilweise traumatisierten Männer seelisch wieder auf. Bürgermeister Kaisen rühmte 1946 die Hausfrauen, „die mit größter Geduld und mit einer beispielhaften Tapferkeit das Schicksal unseres Landes auf sich nehmen und das Leben zu meistern suchen“, aber etwas für ihre Entlastung taten die Politiker nicht.
Rolle und Beitrag des Bremer Frauenmuseums e.V.
Die Mitglieder des Bremer Frauenmuseums freuen sich, dass ihre Idee bei Waller Kommunalpolitikern, dem Kulturhaus Walle – Brodelpott, dem Bremer Zentrum für Baukultur und den lokalen Kleingartenvereinen auf so positive Resonanz gestoßen und damit weit über den ursprünglichen Initiatorinnenkreis hinaus gewachsen ist. Nicht zuletzt dank des tatkräftigen Einsatzes – bisher weitgehend ehrenamtlich – von Kirsten Tiedemann arbeitet ein Kreis engagierter Leute kontinuierlich seit Mitte 2006 an der Umsetzung der Idee. Christine Holzner-Rabe und Renate Meyer-Braun vom Bremer Frauenmuseum (bfm) gehören dazu. Das bfm wird durch Renate Meyer-Braun im Beirat des neuen Vereins vertreten sein. Dem Beirat werden ebenfall angehören die Wilhelm und Helene Kaisen-Stiftung (Dokumentationsstätte Kaisenscheune in Borgfeld) und das Bremer Zentrum für Baukultur (b.zb). Das Ziel des bfm, Leben und Arbeit von Bremer Frauen in Geschichte und Gegenwart mehr in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken, kann nun auch an diesem Projekt deutlich werden:
- Frauen als Überlebensarbeiterinnen im Nachkriegsbremen,
- weibliche Kreativität beim Beschaffen von Nahrung und Hausrat,
- Sicherung des Familienzusammenhalts in physischer und psychischer Hinsicht,
- Veränderung von geschlechtsspezifischen Zuständigkeiten.
Durch Einbringen eigener Forschungsergebnisse, durch Zulieferung von historischen Hintergrundmaterialien, durch Veranstaltung von Lesungen, Vortrags- und Diskussionsnachmittagen oder durch kleinere Aktionen z.B. „Kochen wie in der Nachkriegszeit“ kann das bfm einen Beitrag leisten.
Christine Holzner-Rabe und Renate Meyer-Braun
(Oktober 2011/2017)
Links:
Kaisenhaus Bremen Walle
www.kaisenhaus.de
Kaisenhaus in Bremen Horn Lehe
www.chronik-horn-lehe.de