Dorothea Mügge engagierte sich als Buchhändlerin für einen Zugang zu Bildung.
22.1.1896 in Lehe – 24.9.1981 in Bremerhaven
Dorothea, Thea genannt, wuchs in Lehe auf, wo ihre Familie seit 1891 ansässig war. In der Langen Straße betrieb ihr Vater, der Schmiedemeister Hinrich Mügge (1865-1954), eine Schmiedewerkstatt und Schlosserei. Ihre Mutter Marie, geb. von Wecheln, führte den Haushalt und kümmerte sich um die Kinder. Das waren neben Thea die wenig ältere Schwester Magdalena und der jüngere Bruder Ernst.
Die literaturbegeisterte Thea Mügge absolvierte von 1913 bis 1917 eine Lehre zur Buchhändlerin, die sie in Neubrandenburg in der C. Brünslowschen Hofbuchhandlung von Emil Brückner abschloss. Anschließend arbeitete sie in Bremerhaven in der renommierten Buchhandlung von Rudolf Petermann und bei seinem Nachfolger Karl Memminger. 1927 stieg sie zur Filialleiterin in Geestemünde auf. In dieser Funktion erwarb sie Kenntnisse und Erfahrungen, die ihr später bei der eigenen Unternehmensgründung halfen. Die Filiale in Geestemünde wurde bei der Bombardierung Bremerhavens am 18.9.1944 zerstört.
Von den Kriegseinwirkungen blieb keine Buchhandlung in Bremerhaven und Geestemünde verschont. Thea Mügge, für die Bücher ein Lebenselixier waren, wagte kurz nach der Währungsreform den Schritt in die Selbstständigkeit. Mit großer Beharrlichkeit errang sie 1947 von der amerikanischen Militärbehörde in Bremerhaven und Bremen die Lizenz zur Gründung der „Buchhandlung Thea Mügge“. Am 22.11.1948 empfing die Geschäftsinhaberin ihre ersten Kundinnen in einer 30 qm großen, hellen Baracke in der Bogenstraße. Hier waren während des Krieges Zwangsarbeiter ärztlich versorgt worden. Andere Räume standen noch nicht zur Verfügung, da der Wiederaufbau der Stadt noch am Anfang stand. Den Grundstock ihres Geschäfts bildete eine Leihbibliothek mit Büchern aus ihrem Privatbesitz.
In der Nachkriegszeit, in der der Großteil der Bevölkerung vornehmlich mit der Sicherung der eigenen Existenz beschäftigt war und den Weg in die Normalität suchte, gehörten viel Mut und Idealismus dazu, eine Buchhandlung zu eröffnen. Doch Thea Mügge ging es nicht allein darum, aus eigener Kraft ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Wichtig war ihr insbesondere dazu beizutragen, breiten Bevölkerungsschichten einen Zugang zu Bildung zu verschaffen und den Bremerhavenerinnen die Literatur zu erschließen, die vom Alltag ablenken und eine neue Welt vor Augen führen konnte. Sie erkannte, dass trotz der Notzeit ein großer „Lesehunger“ bestand und machte sich das Motto des Friedrich Oetinger Verlags „Gebt uns Bücher, gebt uns Flügel“ zu Eigen.
Thea Mügge war rund um die Uhr für ihre Kundschaft erreichbar: morgens die Erste und abends die Letzte im Geschäft, leitete sie das Telefon nach Geschäftsschluss in ihre Privatwohnung um. Sie kannte ihre Kundinnen gut und brachte wohl so manche durch ihr großes Wissen und ihre guten Literaturkenntnisse zum Staunen. Sie hatte im Kopf, wer welches Buch wann gekauft hatte und welche Neuerscheinung für diesen Kunden oder jene Kundin von Interesse sein könnte. Bei der Bewältigung des Lesestoffs half vor allem ihre Schwester Magdalena Zimmermann, zu der eine enge Verbindung bestand. Die Lehrerin übernahm das Lesen vieler Neuerscheinungen und vermittelte deren Inhalte an Thea Mügge in Kurzform weiter. So sparte die Geschäftsfrau Zeit, war in dem breit gefächerten Buchsortiment auf dem neuesten Stand und konnte ihre Kundinnen individuell und aktuell beraten.
Zwei Mal wechselte die Buchhandlung Mügge den Standort. Nach vier Jahren in der Baracke zog Thea Mügge erstmals in ein festes Gebäude. Das neue Domizil der Buchhandlung lag 1952 im wiederaufgebauten Geschäftshaus der Städtischen Sparkasse in der Bremerhavener Innenstadt. Von hier aus zog die „Buch- und Kunsthandlung Thea Mügge“ am 15.11.1955 ein paar Hausnummern weiter, das Geschäft lag gegenüber der Großen Kirche. In der Auslage der drei Schaufenster fanden sich neben den Büchern Bilder von Künstlern aus der Region, unter anderem von Paul Ernst Wilke, mit dem sie eine enge Freundschaft verband. 1969 verkaufte sie ihre Firma schweren Herzens. Danach hat sie die Buchhandlung, die bis zu ihrer Schließung im Jahr 2013 ihren Namen trug, nie wieder betreten.
In ihren letzten Jahren lebte Thea Mügge Tür an Tür mit ihrer Schwester Magdalena in einem Haus in der Prager Straße. Sie starb im Alter von 85 Jahren.
Sie war eine der Frauen, wenn nicht die erste, die den Mut aufbrachte, in dem kriegszerstörten Bremerhaven mit einer Buchhandlung eine eigene Existenz zu gründen. Damit trug sie zum kulturellen Wiederaufbau der Stadt bei. Mit ihrer Firmengründung war sie eine Ausnahmeerscheinung: Damals wie heute sind Menschen, die im Alter von 52 Jahren Unternehmerin werden, eine Minderheit.
Beate Borkowski
Literatur und Quellen:
Buchelt, Andrea (Hrsg.): Frauen im Aufbruch, Bremen 2011, S.20-23.
Ernst, Manfred: Mügge, Dorothea. In: Bickelmann, Hartmut (Hrsg.): Bremerhavener Persönlichkeiten aus vier Jahrhunderten, Brhv. 2.Aufl. 2003, S.222-223, Erstveröffentlichung.
Ders.: Die Geschichte des Buchhandels in Bremerhaven, in: Jahrbuch Männer vom Morgenstern 72 (1993), S.131-148, hier S.138-145.
Falk, Hans-Jürgen: Erinnerungen von und an Dorothea Mügge. Private Chronik, nicht veröffentlichtes Manuskript.
Gespräche mit Sabine Falk, Barbara Sarrazin und Anneliese Thies.
Interview mit Dr. Manfred Ernst am 16. März 2011.