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Schäfer, Anna Sophia (1809 – 1897)

20.9.1809 in Colnrade/Diepholz – 7.11.1897 in Heidelberg

Anna Sophia, Tochter von Margarete Caroline, geb. Hespe (geb. 1809), und dem Arbeiter Johann Dietrich Heinrich Wellinghausen (1814-1855), wuchs mit vier Brüdern und zwei Schwestern auf, vier Geschwister waren schon im Säuglingsalter gestorben.[1] Für die Kinder war es selbstverständlich, dass sie schon sehr früh zum Lebensunterhalt beitragen mussten.

Anna half bei der Landarbeit oder hütete Kühe. Erst mit elf Jahren war es ihr möglich, wenigstens für vier Jahre bis zu ihrer Konfirmation 1824, die sogenannte Winterschule zu besuchen. Danach verrichtete sie die verschiedensten Aufgaben in Haus und Hof, ohne je eine Berufsausbildung zu erhalten. Schließlich ging sie nach Bremen, um dort bis zu ihrer Eheschließung 1840 in Haushalten zu arbeiten.

Sie hatte fünf Kinder, die bis auf ihren Sohn Dietrich Johann Heinrich (16.5.1845 – 12.1.1929) bereits im Säuglingsalter starben. Im Jahre 1842 mietete die Familie einen Schankkeller an der Schlachte und bezog die angrenzende Wohnung. Anna Schäfer war nun tagsüber als Schankwirtin tätig, während ihr Mann weiter seiner Arbeit im Hafen nachging. Da sämtliche Geschäfte oder gar Lohnauszahlungen in solchen Kellern, von denen es damals in Bremen fünf bis sechs gab, getätigt wurden, verdiente Anna Schäfer ein gutes Zubrot. Diese Einnahmequelle reichte auch dann noch aus, als ihr Mann immer häufiger wegen einer Lungenerkrankung für längere Zeit nicht arbeiten konnte und keinen Lohn erhielt. Doch nach zehn Jahren zwang die voranschreitende Krankheit des Mannes die Familie, den Schankkeller wegen der stets feuchten Wohnung aufzugeben. Anna Schäfer übernahm nun wieder allerlei Gelegenheitsarbeiten und konnte so die größte Not von der Familie abwenden. Außerdem pachtete sie mit ihrem Mann in der Vorstadt mehrere kleine Äcker, um für Wintervorräte zu sorgen und mit dem Verkauf von überschüssigen Produkten einen kleinen Nebenverdienst zu erwerben.

Als ihr Mann 1865 starb, stand sie mit ihren beiden Kindern vor dem Nichts und wäre berechtigt gewesen, die Armenkasse in Anspruch zu nehmen. Aber da so etwas der allgemeinen Denkweise entsprechend als Schande empfunden wurde, schuftete sie in den folgenden Jahren an den Wochentagen bis zu dreizehn Stunden als Wäscherin oder Putzfrau. Ihr Tagesverdienst lag bei 18-20 Groten (83,4 – 92,6 Pfennigen). Das entsprach etwa der Kaufkraft eines neunpfündigen Brotes. Von diesem Entgelt musste der gesamte Lebensunterhalt bestritten werden. Außerdem ermöglichte sie ihrem hochbegabten Sohn den Besuch des Lehrerseminars, das er 1863 absolvierte. Von diesem Zeitpunkt an verbesserte sich ihre Lebenssituation. Nun von ihrem Sohn[2] unterstützt, musste sie nicht mehr in fremden Haushalten arbeiten, und es war ihr vergönnt, ihren Lebensabend im Kreise der Familie ihres Sohnes in Heidelberg, zu verbringen.

Anmerkungen:
[1] https://www.leo-bw.de/web/guest/detail/-/Detail/details/PERSON/kgl_biographien/118794841/Sch%C3%A4fer+Dietrich+Johann+Heinrich, Zugriff 19.9.2015.
[2] Dietrich Johann Heinrich  war von 1872-1876 Lehrer, Bibliothekar der Stadt Bremen und ab 1876 Angestellter des Hansischen Geschichtsvereins, von 1877–1921 war er Professor an mehreren deutschen Universitäten, zuletzt in Berlin, 1898 war er Mitglied der Ersten Kammer Badens: Ackermann, Jens P., Württembergische Biographien 1, 221-223.

Literatur und Quellen:
Schäfer, Dietrich: Mein Leben, Berlin und Leipzig 1926.

Helga Fuhrmann