Elvira Vierke, geb. Swalkiewiecz, war Schweißerin auf einer Großwerft.
5.9.1939 in Bremen-Aumund – 10.4.2005 in Bremen-Hammersbeck
Elvira war das jüngste von vier Kindern in einem Arbeiterhaushalt. Ihr Vater war Schlosser auf der Norddeutschen Steingut AG in Bremen-Grohn und ihre Mutter arbeitete viele Jahre in der Wollkämmerei in Bremen-Blumenthal. Elvira verlebte nach eigener Aussage eine “gute Kindheit“, auch wenn Krieg herrschte.
Nach acht Jahren Volksschule suchte die Vierzehnjährige 1953 vergeblich eine Lehrstelle als Friseurin. Anfang der 50er Jahre war es besonders für Mädchen noch recht schwierig, einen Ausbildungsplatz zu finden; das Wirtschaftswunder hatte noch nicht „gegriffen“. Um etwas Geld zu verdienen, machte sie Heimarbeit, arbeitete eine Reihe von Jahren in verschiedenen Haushalten als Kinderbetreuerin und nahm dann noch andere Beschäftigungen an.
Als sie ihren späteren Mann kennenlernte und die beiden nach einiger Zeit beschlossen zu heiraten und sich Möbel kaufen wollten, suchte und fand sie eine besser bezahlte Arbeit als Serviererin im Offizierscasino der Bundeswehr-Kaserne in Bremen-Grohn. In der dortigen Rolandkaserne waren 1956 die ersten Soldaten der neu gegründeten Bundeswehr vereidigt worden. Hier arbeitete ihr Mann als Kraftfahrer, nachdem er aus gesundheitlichen Gründen seine Tätigkeit als Schweißer auf dem Bremer Vulkan hatte aufgeben müssen – ausgerechnet dort, wo seine Zukünftige später lange Jahre als Schweißerin arbeiten sollte. 1960 wurde geheiratet, 1961 der erste Sohn, Thomas, geboren. Da sie mehr verdienen wollte, denn das Darlehen für ein kleines Reihenhaus in einer Neubausiedlung in Bremen-Hammersbeck musste pünktlich bedient werden, fing die junge Mutter bei den Bremer Tauwerken in Bremen-Grohn als Weberin von Bouclé-Teppichen an. Die Betreuung des Kindes übernahm ihre Mutter, die täglich ins Haus kam. Nach der Geburt des zweiten Sohnes, Michael, 1964 gab sie für einige Jahre die Berufstätigkeit auf. Aber als größere Ausgaben ins Haus standen, musste und wollte sie sich doch wieder einen Job suchen.
Als der Bremer Vulkan in Vegesack – die zweite Bremer Großwerft neben der AG „Weser“ – dringend Schweißer suchte, männliche wie weibliche, auch als Teilzeitkräfte, bewarb sie sich. Frau Vierke sprach besonders an, dass eine Arbeitszeit von 17 bis 22 Uhr möglich war. Dann konnte ihr Mann zu Hause sein und die schulpflichtigen Söhne betreuen. Und sie hatte Zeit, morgens den Haushalt zu machen, zu kochen und zu Hause zu sein, wenn die beiden Jungen aus der Schule kamen. Es lag ihr sehr daran, dass ein Elternteil immer da war; ihre Kinder sollten keine „Schlüsselkinder“ sein – ein Vorwurf, der gegenüber berufstätigen Müttern damals oft erhoben wurde. Ein Sohn machte später eine Lehre als Drucker, der andere als Kfz-Mechaniker. In späteren Jahren arbeitete sie von 7 bis 12 Uhr. Genau so wichtig war natürlich, dass der Lohn wesentlich höher lag als bei ihren bisherigen Arbeitsstellen. Die Aussicht, in einer so männlich dominierten Welt, wie es eine Großwerft nun einmal ist, arbeiten zu müssen, schreckte sie nicht, obgleich sie bisher ausschließlich typisch weibliche Tätigkeiten in weiblicher Umgebung ausgeübt hatte
Sie fing im Sommer 1970 mit etwa fünfzig anderen Frauen auf dem Bremer Vulkan an, von denen viele nach kürzerer oder längerer Zeit wegen der starken körperlichen Belastung wieder aufhörten. Zuerst wurden sie – männliche und weibliche Anfänger – acht Wochen lang in einer Lehrwerkstatt in die Technik des Schweißens eingeführt. Die Abschlussprüfung bestanden längst nicht alle; Männer so wenig wie Frauen. Sie schaffte es und konnte früher als die anderen in der riesigen Schiffbauhalle anfangen. Dort war sie zunächst von dem gewaltigen Lärm geschockt, den die vielen ständig hin- und herfahrenden Kräne und die auf den Boden knallenden Stahlplatten verursachten. Gewöhnungsbedürftig war auch die Arbeitskleidung, aus braunem grobem Sackleinen gefertigte Anzüge, die viel zu groß waren, da der Betrieb noch nicht auf Frauen eingestellt war. Ähnliches galt für die Arbeitsschuhe. Erst viel später gab es im Tragen angenehmere Anzüge aus weicherem Material, die auch in kleineren Größen geliefert wurden. Die Haltung der männlichen Kollegen war anfangs skeptisch bis ablehnend. Sie betrachteten die Frauen als Eindringlinge in ihre Welt. Diese Einstellung änderte sich erst, als sie anerkennen mussten, dass auch die Frauen ihre Arbeit beherrschten. Das konnte bis zu einem Vierteljahr dauern, „aber dann waren wir Kollegen.“[1]
Mit den männlichen Kollegen kam sie bestens aus. Sie erinnerte sich gern an die kameradschaftliche Atmosphäre, an Scherze während der gemeinsam verbrachten Mittagspause. Sie wurde geschätzt und respektiert, weil sie Humor verstand, gut arbeitete und man sich auf sie verlassen konnte. Die Arbeit war hart, das sagen auch ehemalige männliche Schweißer: das stundenlange Arbeiten auf Knien oder gar im Liegen nur mit einem Strohsack als Polster, das Klettern auf hohe Leitern, den schweren Eimer mit den Elektroden über dem Arm, die Kälte im Winter in den ungeheizten Hallen oder das Schwitzen an heißen Sommertagen unter dem dicken Anzug sowie die ungesunden Dämpfe bei unzureichender Entlüftung. Erkrankungen der Lunge und des Skeletts waren nicht selten. Aber sie hielt durch, auch wenn der Rücken schmerzte. Dass sie sich auch für die Interessen der Belegschaft einsetzte, zeigt die Tatsache, dass die in der IG Metall organisierten Kolleginnen – das waren fast alle – sie bei Vertrauensleutewahlen mehrfach zur Vertrauensfrau wählten.
Eine ganz besondere Anerkennung wurde ihr zuteil, als sie nach dreizehnjähriger Tätigkeit als Schweißerin ein großes Schiff taufen durfte. „Das ist in der Geschichte des Bremer Vulkan absolut neu: eine Betriebsangehörige und nicht etwa die Frau oder Tochter eines Reeders taufte den 244 Meter langen Mehrzweckfrachter `Pharos`, der gestern Nachmittag vom Stapel lief.“[2] Die Reederei hatte ausdrücklich eine Arbeiterin als Taufpatin gewünscht, die selbst am Bau des Schiffes mitgearbeitet hatte. Ihr Vorarbeiter hatte sie als eine Mitarbeiterin vorgeschlagen, die in all den Jahren stets zuverlässig und pünktlich am Arbeitsplatz erschienen war und sehr sorgfältig ihre Schweißarbeiten erledigte. Sie hatte kaum einen Arbeitstag versäumt und sich auch mit Rückenschmerzen in den Betrieb geschleppt, denn „die Arbeit konnte ja nicht liegen bleiben, das Schiff musste ja fertig werden.“[3] Dieses Arbeitsethos war offensichtlich nicht bei allen selbstverständlich. Statt ängstlich abzuwehren oder sich zu zieren, freute sie sich riesig und empfand Lob und Auszeichnung als verdiente Anerkennung für dreizehn Jahre harter Knochenarbeit und überlegte schon auf dem Heimweg, was sie in ihrer Rede am 8.8.1983 sagen wollte.
Sie, eine einfache Schweißerin, die keine Erfahrung mit öffentlichen Auftritten hatte, hielt vor versammelter Taufgesellschaft, Direktoren, Schiffseigner und Belegschaft, auf so souveräne Weise eine Rede, dass alle aufhorchten und die Gazetten darüber beirichteten. Sie war sich dabei ihrer Wirkung – dass die 44jährige eine attraktive Erscheinung war, spielte durchaus eine Rolle – und der symbolträchtigen Bedeutung des Aktes wohl bewusst. Sie sprach von dem Stolz, den sicher alle über das Gelingen des großen Werkes empfanden, dem Stolz auf das Schiff, „das wir gemeinsam gebaut haben – jeder auf seine Weise.“[4] Ihre Kolleginnen waren voller Bewunderung für ihren Mut, im Mittelpunkt eines Stapellaufs und einer Festgesellschaft zu stehen. Es war etwas höchst Ungewöhnliches. Deshalb berichtete auch die überregionale Presse über diese andersartige Schiffstaufe. Man konnte Titel lesen wie „Elviras Nähte halten Ozeanriesen zusammen.“
Nach diesem Höhepunkt ihres Berufslebens machte sie weiter wie bisher und blieb noch weitere sieben Jahre in der Schweißerei. Insgesamt zwanzig Jahre arbeitete sie in der Männerwelt des Bremer Vulkan, hatte sich nicht unterkriegen lassen, hatte etwas geleistet und dadurch an Selbstvertrauen gewonnen. Sie kann damit stellvertretend für all die Schweißerinnen gesehen werden, die nicht nach wenigen Jahren aufgaben, sondern durchhielten und bewiesen, dass Frauen das Monopol der Männer auf das erfolgreiche Bewältigen harter Arbeit brechen können, dabei Frau bleiben und sich nicht scheuen, von ihrer Umgebung als Exotin oder Mannweib angesehen zu werden.
1990 musste sie mit 51 Jahren wegen einer schweren Erkrankung aufhören. Sie hat das bedauert, denn sie arbeitete gern auf dem Vulkan. Wenn dieses Leiden nicht aufgetreten wäre, hätte sie nach eigener Aussage bis zum Ende des Bremer Vulkan, der 1997 wegen Konkurs schließen musste, weiter gearbeitet. – Die Krankheit war hartnäckig; sie starb im 66.Lebensjahr.
Dr. Renate Meyer-Braun
Anmerkungen
[1] Aussage einer ehemaligen Schweißerin auf dem Bremer Vulkan.
[2] „Werftarbeiterin taufte den Frachter Pharos“ WK vom 10.8.1983.
[3] Elvira Vierke im Interview mit der Verfasserin.
[4] Die Norddeutsche 10.8.1983, aus ihrer Rede.
Literatur und Quellen
Bremer Morgenpost 9.8.1983 „Werft-Arbeiterin tauft ein Schiff“.
Die Norddeutsche 28.7.1983 „Großer Bahnhof für Elvira Vierke“.
Lebensgeschichtliches Interview der Verfasserin mit Elvira Vierke am 19.11.1998.
Meyer-Braun, Renate: Frauenarbeit im Schiffbau – Schweißerinnen auf dem Bremer Vulkan, in: Bremisches Jahrbuch, Bd. 92, 2013, S.271-297.
Müller, R.: Arbeitssituation und gesundheitliche Lage von Schweißern, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung, Forschungsbericht Nr. 252, Dortmund 1980.
WK vom 24.1.1975 „Wenn Frauen Männerarbeit machen“.
WK vom 10.8.1983 „Werftarbeiterin taufte den Frachter Pharos“.