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Die „Wiedervereinigung“ und ihre Folgen für die Frauen

Podiumsdiskussion
31.Januar 2019 – 19 Uhr – Belladonna, Sonnenstr. 8, 28203 Bremen

Referentinnen:

Dr. Christine Eifler, war Professorin an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin für Militärsoziologie und war dann an der Universität Bremen im Bereich Genderforschung tätig.

Dr. Ute Gerhard, war Professorin an der Johann-Wolfgang-Goethe Universität in Frankfurt am Main für Frauen- und Geschlechterforschung und Direktorin des von ihr gegründeten Cornelia-Gothe-Instituts.

Moderatorin:   Romina Schmitter

Zu Beginn stellte die Moderatorin die verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Hintergründe der „Wiedervereinigung“ dar:

v.l.n.r. Dr.Christine Eifler, Romina Schmitter, Dr. Ute Gerhard, Foto Regina Contzen

 

Wer von „Wiedervereinigung“ spricht, meint vor allem zwei Ereignisse:

  • Die Maueröffnung am 9. November 1989 und den
  • „Tag der deutschen Einheit“ am 3.Oktober 1990

Nach dem westdeutschen Grundgesetzt gab es für die „Wiedervereinigung“ zwei Möglichkeiten: nach Artikel 23 GG sollte das Grundgesetz für die 11 westdeutschen Bundesländer sowie „nach deren Beitritt“ auch für die 5 ostdeutschen Länder gültig sein. Nach Artikel 146 sollte das westdeutsche Grundgesetz „seine Gültigkeit an dem Tage verlieren“, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“.

Dass die „Wiedervereinigung“ nach Artikel 23 vollzogen wurde, geht auf einen Beschluss der letzten Volkskammer der DDR zurück, d.h. der 380 am 18. März 1990 gewählten Abgeordneten (164 CDU, 76 SPD, 65 PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus), 4 vom ostdeutschen „Demokratischen Aufbruch“, 80 sonstige Parteien). Entsprechend wird im Einigungsvertrag vom 31. August 1990, Art. 1, von „Beitritt“ gesprochen, nicht von „Wiedervereinigung“.

Im wirtschaftlichen Bereich sah der „Beitritt“ der DDR zur BRD ähnlich aus: Mitte Juni beschloss die Volkskammer das „Treuhandgesetz“, nach dem die ostdeutsche Planwirtschaft in die westdeutsche Planwirtschaft überführt werden sollte und auch wurde. Am 1. Juli 1990 beschloss die Volkskammer das Gesetz zur „Wirtschafts- und Währungsunion“, die auch das Wirtschafts- und Geldsystem – die westdeutsche Mark – auf die ostdeutschen Bundesländer übertrug. Der damalige Direktor der westdeutschen Bundesbank Hans Tietmeyer lehnte das Begriffspaar „Wirtschafts- und Währungsunion“ als nichtzutreffend ab, denn dabei handle es sich nicht um eine Union, sondern „die Ausdehnung des westdeutschen Währungsgebiets auf die DDR.“[1]

Außerhalb der dargestellten Volkskammerbeschlüsse gab es in Ost- wie Westdeutschland massive Kritik an der „Wiedervereinigung“ nach Artikel 23 des Grundgesetzes:

  • Der ostdeutsche „Runde Tisch“ forderte unter dem Slogan „Kein Anschluss unter dieser Nummer“, also Artikel 23 GG, statt einer „Wiedervereinigung“ oder eines „Beitritts“ eine verfassungsgebende Versammlung auf der Grundlage einer neuen Verfassung der DDR und des Bonner Grundgesetzes.
  • Ähnliche Forderungen erhob das „Kuratorium für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder“, das in Juni 1990 von Männern und Frauen aus Ost- und Westdeutschland gegründet wurde und im selben Jahr drei Kongresse abhielt, je einen in Weimar und Potsdam und in der Paulskirche in Frankfurt am Main.
  • Das „Frankfurter Frauenmanifest“, das im September 1990 in der Frankfurter Paulskirche beschlossen wurde, ergänzte die Forderungen des „Rundes Tisches“ und des Kuratoriums um genuin feministische Forderungen wie Quotierung, Recht auf Schwangerschaftsabbruch, Vorrang von ökologischen vor wirtschaftlichen Interessen, Ersetzung des Wortes „Deutsche“ im Grundgesetz durch „Bürgerinnen und Bürger“ usw..

Im Unterschied zum „Runden Tisch“ und „Kuratorium…“ waren in der Frankfurter Paulskirche nur Frauen beteiligt, und zwar Frauen aus West- wie Ostdeutschland.

Doktor Christine Eifler stellt zunächst die Situation der ostdeutschen Frauen von 1949, dem Jahr der Gründung der DDR, bis zur Wiedervereidigung 1989/90 in drei Phasen dar:

Von 1949 bis 1963 sei es der dortigen Politik darum gegangen, Frauen die Voraussetzungen zur Vollerwerbstätigkeit zu geben. Zu diesem Zweck wurden Kinderkrippen, -gärten und Horte flächendeckend installiert. Gleichzeitig gab es eine Vielzahl von sozialen Leistungen, z.B. volle Bezahlung bei Mutterschaftsurlaub, Finanzierung von Ausbildung usw.; die aber nur von erwerbstätigen Frauen in Anspruch genommen werden konnten. 1963 bis in die 70er Jahre wurden frauenfreundliche Gesetze erlassen, wie ein Scheidungsgesetz, das kein Schuldprinzip mehr kannte, oder das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und problemloser Zugang zur Pille.

Das alles aber sei politischerseits nicht emanzipatorisch motiviert gewesen, sondern – wegen des langen herrschenden Arbeitskräftemangels – ökonomisch.

Man brauchte die Frauen als Erwerbstätige. Aus dieser Ambivalenz fortschrittlicher Frauenpolitik ergaben sich dann die Probleme, die in der dritten und letzten Phase auftraten: Die sogenannte „Mutti-Politik“ führte dazu, dass Frauen, die wegen ihrer Gebärfähigkeit und der damit verbundenen sozialen Rechte für die Unternehmen zu unberechenbaren Arbeitskräften wurden, schlechtere Arbeits- bzw. Erwerbstätigkeitsbedingungen vorfanden und dadurch zunehmend den Widerspruch zwischen vorgegebener Gleichberechtigung und realer Benachteiligung empfanden. Hinzu kam ihre Belastung durch die Haus- und Erziehungsarbeit. Daraus ergaben sich dann die Anfänge einer Frauenbewegung auch in der DDR, die nicht mit dem Demokratischen Frauenbund (DFB) zu verwechseln sei, der – nach anfänglicher politischer Eigenständigkeit, vor allem seiner Prozesse gegen die atomare Bewaffnung, zunehmend auf die offizielle Parteipolitik einschwenkte.

Dr. Ute Gerhard, in deren neuem Buch „Für eine andere Gerechtigkeit – Dimensionen feministischer Rechtskritik“ (Frankfurt/New York 2018) – die Situation Ost- und Westdeutscher Frauen auch zur Sprache kommt, legte den Schwerpunkt auf die Folgen der „Wiedervereinigung“ für die Frauenbewegung.

Anders als die ostdeutsche Bewegung, obwohl sie aus nachvollziehbaren Gründen viel jünger war als die westdeutsche – viele Forderungen ihrerseits wie freier Schwangerschaftsabbruch waren im Osten schon seit Langem erfüllt – schaffte es die westdeutsche nicht, bei den Verhandlungen zur „Wiedervereinigung“ beteiligt zu sein, während die ostdeutsche Bewegung – vor allem der Unabhängige Frauenverband (UFB) – mit am „Runden Tisch“ saß.

Hinzu kam, dass das Zusammentreffen ost- und westdeutscher Frauen im September 1990 in der Paulskirche in Frankfurt am Main zu keiner Verständigung führte.

„womöglich…geurteilt haben…wie die Altbundesbürger, die mir nach dem Mauerfall souverän erklärten, wie furchtbar die DDR gewesen ist, ohne sie betreten zu haben…Es gab das Ideal von der menschenwürdigen Gesellschaft. Sein Platz im Denken verwaist…Die DDR war gewiss kein Ruhmesblatt, ihr Ende verhalf zur Einsicht, dass Ideale wohl immer zu bleiben pflegen, was sie sind. Menschen jedoch abzuwerten, die an die Verwirklichung glaubten, entspricht genau dem westlichen ‚Triumphalismus‘, der auch mich anwidert.
Das ist klein und arm, aber en vogue.“

Julia Krauss, Eisenach. Zitat aus „Die Tageszeitung TAZ“ vom 12.11.2014: Westlicher Triumphalismus

Romina Schmitter

 

[1] Zit. Böick, Marcus: Die Treuhand – Idee Praxis Erfahrung 1990-1940, Göttingen 2018, S- 205