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Gondro, Anni (1919 – 2014)

Anni Gondro – war eine engagierte Gewerkschafterin und Frauenrechtlerin

Sie wurde 1919 in Oberschlesien als Anni Bakalla geboren. Die Eltern betrieben ein Lebensmittelgeschäft. Zu ihren Kunden gehörten ärmere, auch jüdische Familien. Ein Grund für die Nazis das Geschäft zu boykottieren. Die Eltern mussten das Geschäft dann aufgeben. Der Vater war sozial engagiert und verweigerte später den Dienst an der Waffe. Er wurde zum Vorbild für seine Tochter.

Nach dem zweiten Weltkrieg kam Anni Gondro nach Bremen und war zunächst bei der Schulspeisung tätig, auch weil ihre beiden Kinder dadurch täglich eine warme Mahlzeit erhielten. Schlecht bezahlt arbeitete sie mit sechs weiteren Frauen auf blankem Steinboden. Vernünftige Schuhe und Strümpfe hatte keine. Anni Gondro wandte sich an die Gewerkschaft, genauer gesagt an Karl Wastl, damals Leiter der Zahlstelle Bremen Nord des Metallarbeiterverbandes. Und die Gewerkschaft besorgte Holzschuhe für alle Frauen. Die Frauen traten aus Dank in die Gewerkschaft ein und kämpften später gemeinsam erfolgreich für mehr Lohn. Anni Gondro kam in den Betriebsrat bei der Schulspeisung.

Anni Gondro 1 Mai 1948, ©Nachlass Anni Gondro, Verdi-Archiv

Die Mai-Demonstration 1948 in Bremen führte noch an kriegszerstörten Häusern vorbei. Im Demonstrationszug – inmitten der männlichen Kollegen – geht eine Gewerkschafterin der ersten Stunde, Anni Gondro. In Bremen erinnert sich kaum jemand an sie.

Anni Gondro war eine Netzwerkerin, wie man heute sagen würde. So arbeitete sie mit dem ötv-Jugendsekretär Hans Koschnik zusammen, mit Helene Kaisen und mit Richard Boljahn, der bald stellvertretender DGB-Vorsitzender wurde. Er unterstützte sie bei der gewerkschaftlichen Frauenarbeit. Gemeinsam besuchten sie Bremen-Norder Betriebe, um Kontakt zu den Arbeiterinnen aufzunehmen und zu sehen, unter welchen Bedingungen die Frauen dort arbeiteten. In der Fischfabrik etwa waren die Hände der Frauen ohne Schutzkleidung ständig im direkten Kontakt mit Salz und Eis für die Fische. Das durfte nicht sein. Nach einer erfolgreichen Intervention musste der Betrieb Schutzkleidung für die Frauen beschaffen. „Bei Chemie genauso, die Frauen waren alle irgendwie immer schutzlos“, so Anni Gondro später.

Um Frauen hat sich die Sozialdemokratin stets besonders gekümmert. So auch Anfang der fünfziger Jahre als Verkäuferin, im Betriebsrat und später als 2.Betriebsratsvorsitzende bei Karstadt in Bremen. Frauen verdienten dort für die gleiche Arbeit pauschal zehn Prozent weniger als Männer. Anni Gondro stellte mit der Gewerkschaft während der Tarifverhandlungen eine große Demonstration auf die Beine. Die Arbeitgeber knickten ein, das Gehalt wurde angeglichen.

Anni Gondro wurde zur ersten Vorsitzenden des Frauenausschusses im DGB und damit automatisch DGB-Vorstandsmitglied. Nachdem sie gerade mal eine Woche in Vegesack im Vorstand war, kam sie als Vertreterin der Frauen im stadtbremischen DGB in den Ortsausschuss (Vorstand). Sie forderte bereits im April 1950, „daß die Frauen zu ihren Lohn- und Arbeitsbedingungen selbst Stellung nehmen können. … daß alle Industriegewerkschaften zu ihren Tarifkommissionen aktive Frauenfunktionärinnen hinzuziehen… Selbst Gewerkschaften, deren Mitglieder zu einem großen Teil Frauen sind, haben bis jetzt noch in keiner Tarifkommission eine Frau.“

Sie trat ein für die Gleichberechtigung der Frau, forderte gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Wurde sie ernstgenommen in der Männerdomäne Gewerkschaft? Sie setzte sich durch, auch wenn man ihr manchmal das Leben schwer machte. Da kam schon mal der Gedanke: „Warum musst du dich eigentlich mit den Kerlen rumärgern?“ Sie erklärte: „Was glaubt ihr, was Frauen denken, wenn ihr sie werbt und sie sehen, da ist nicht eine Frau im Vorstand … Ihr schadet euch ja alle selber.“

1957 zog Anni Gondro wegen einer neuen Arbeitsstelle nach Hannover. Sie hatte auch dort viele herausgehobene Funktionen, in der HBV, der ÖTV, später bei ver.di, war vor Ort Vorstandsmitglied ihrer Gewerkschaft und Personalratsvorsitzende bei der Landesversicherungsanstalt Hannover. Anni Gondro erhielt etliche Auszeichnungen, 1981 das Bundesverdienstkreuz.

Aber sie sagte: „Die Bremer Zeit ist die beste gewesen.“

Anni Gondro beim verdi-Bundeskongress 2011 Foto: Kay Herschelmann, Verdi-Archiv

Anni Gondro trug erheblich zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen in Bremer Betrieben in der Nachkriegszeit bei. Sie organisierte bis ins hohe Alter zupackend praktische, gewerkschaftliche Unterstützung und stritt entschlossen für Frauenrechte. Sie starb im November 2014 im Alter von 95 Jahren in Hannover.

Heike Blanck (2021)

Quellen:
Deutscher Gewerkschaftsbund / Region Bremen-Elbe-Weser (Herausgeber): 75 Jahre DGB Bremen Seit 1946 für den sozialen Fortschritt in Bremen und Bremerhaven 75 Geschichten aus 75 Jahren von Heike Blanck, Karl Bronke, Beenhard Oldig, Bremen 2021, S. 40 f.

Neben den Dokumenten des Staatsarchivs Bremen (StAB 7.1121) ist ein langes Interview von Heike Langenberg mit Anni Gondro die wesentliche Grundlage des Artikels.

Heike Langenberg: Anni Gondro: Die Unerschrockene, in: ver.di PUBLIK, Ausgabe 05/Mai 2004