Artikel

Mindermann, Marie (1808 – 1882)

Marie Christine Mindermann nahm für ihren Kampf um Frauenrechte und das Frauenwahlrecht eine Haftstrafe auf sich.

9.12.1808 in Bremen – 25.3.1882 in Bremen

Marie, die vierte[1] und jüngste Tochter des Drechslermeisters Johann Mindermann und seiner Ehefrau Elisabeth, geb. Flügger[2] wuchs in der Ostertorstraße in der Bremer Altstadt auf.

Sie besuchte ab ihrem dritten Lebensjahr eine Kleinkinderschule, die sie befähigte, bereits mit fünf Jahren klar und deutlich aus der Bibel vorzulesen. Ab dem siebten bis zu ihrem 13.Lebensjahr schickten sie die Eltern in die nahegelegene Domschule, wo sie durch ihre Lesefreude, ihr Schreibtalent und ihre Gewissenhaftigkeit auffiel und von einem Hilfslehrer Deutschunterricht erhielt, der damals allgemein nicht üblich war. Nach dem Konfirmandenunterricht erhoffte sich die begabte Marie eine Ausbildung als Lehrerin, doch sie galt als gesundheitlich schwächlich und zudem wollten die Eltern das ihnen zu teure Schulgeld bei Betty Gleim (1781-1827) nicht bezahlen. Wie vielen anderen Mädchen in diesem Alter blieb ihr die Mithilfe und später die ganze Arbeit im elterlichen Haushalt, schließlich die Pflege der alten Eltern.

Die Schwestern Maries heirateten, sie selbst blieb ledig. Sie las viel, schrieb Gedichte und Erzählungen, von denen manche anonym im Bremer Bürgerfreund veröffentlicht wurden. Nach dem Tod der Eltern 1840 zog sie mit ihrer Freundin, der Harfenistin Caroline Lacroix, in die Westerstraße Nr.56. Als gern gelesene Schriftstellerin und Verfasserin von Gedichten, oft in plattdeutscher Sprache, wird ihr Verdienst nicht schlecht gewesen sein, denn 1847 kaufte sie sich in das Rembertistift ein. Sie hinterlegte eine Summe, die ihr für 13 Jahre ein Einkommen garantierte. Seit 1856 bis zu ihrem Tod wohnte sie hier mit ihrer Freundin.

Nach ihren eigenen Worten begann mit dem Ausbruch der bürgerlichen Revolution im März 1848 ihre Politisierung. Beeindruckt vom revolutionären Pastor Rudolph Dulon (1807-1870), der von der Gemeinde an die Bremer Liebfrauenkirche gewählt worden war, begann sie Kirchen- und Verfassungstexte zu studieren, analysierte die Predigten Dulons und anderer Pastoren und veröffentlichte schließlich in vorerst anonym herausgegebenen Schriften ihre Überzeugung und Sympathie für die Revolution. Das miserable, die unteren Schichten diskriminierende Bildungssystem, Pressezensur und Demokratiefeindlichkeit des Bremer Senats, der Kirchenstreit und die allgemeine soziale Ungerechtigkeit in den Ländern empörten auch sie. Obwohl die Revolution in Bremen schließlich die Ausarbeitung einer Verfassung und die Einführung eines Wahlrechts für einen Teil der Männer, aber grundsätzlich nicht für Frauen, erzwang, setzte sich auch in Bremen ab 1850 die Gegenbewegung durch. Dulon, der nicht nur als Prediger, sondern auch als Herausgeber einer Zeitung fungierte und ein Mandat in der Bremischen Bürgerschaft innehatte, wurde suspendiert und flüchtete schließlich in die USA.

Marie Mindermann schrieb weiter, mit Scharfsinn, Spott und Brillanz. „Ich habe geschrieben, weil es kein anderer tat. Wie soll es besser werden, wenn ein Jeder seinen Mund mit einem siebenfachen Siegel verschließt?“[3] Doch es gelang der Polizei mit Hilfe von Drohungen gegen Verleger und Drucker die Autorin ausfindig zu machen. Obwohl der Kommissar vorerst gar nicht glauben konnte, dass die gefährlichen Texte von einer Frau stammten, „denn Frauenzimmer könnten so etwas nicht schreiben“[4], geriet sie in die Mühlen der Justiz. Verhaftung, Einkerkerung, Schreibverbot und Einschüchterung verwiesen sie in die Schranken. 1852 musste sie wegen Verunglimpfung des Senats im „Detentionshaus“, dem Stadtgefängnis am Ostertor, eine beschämende Untersuchungshaft verleben und schließlich ihre achttägige Zuchthausstrafe absitzen. Ihre Beschreibung dieser Haftbedingungen[5] gehört heute noch zu den eindrucksvollsten Plädoyers für Menschlichkeit und Menschenwürde. Erst Jahre später fand sie wieder Verleger, ihre Themen schienen jetzt harmlos. 1865 ernannte das „Freie Deutsche Hochstift (Frankfurt Goethe-Museum)“ die Schriftstellerin zum Mitglied und 1875 zur Meisterin.

1867 trat sie wieder an die Öffentlichkeit und gründete zusammen mit Ottilie Hoffmann (1835-1825) den „Verein zur Erweiterung des weiblichen Arbeitsgebietes“, den späteren „Frauen-Erwerbs- und Ausbildungsverein“. Sie unterbreitete August Lammers, dem Vorstand des Gewerbe- und Industrievereins, das Konzept und sorgte somit für die öffentliche und finanzielle Unterstützung des Vorhabens. Zwei Jahre wirkte sie als 2.Vorsitzende. 1870 rief sie mit den Freundinnen Henny Sattler (1829-1913) und Metta Meinken (1836-1911), ihrer späteren Biografin, den „Frauenbildungsverein“ ins Leben, der auch Frauen aus unteren Schichten offen stand. Trotz der künstlerischen Darbietungen und Vorträge musste der Verein 1873 allerdings wegen Mitgliedermangels sein Bestehen einstellen.

„Das Leben von Marie Mindermann steht exemplarisch für eine Generation, die, durch die Revolution von 1848 politisiert, ihre Kräfte und Fähigkeiten kennen lernte und sich in die öffentlichen Belange einzumischen begann. Für viele, auch für Marie M., war der Schritt in die Öffentlichkeit schwer, so sehr widersprach er dem weiblichen Selbstverständnis“[6], sagte Elisabeth Hannover-Drück (1928-2009) in ihrer Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Marie Mindermann und die Revolution in Bremen 1848“ im Bremer Staatsarchiv. Und weiter: „Ich bin von großer Achtung für Marie M. erfüllt, die die Grenzen ihres Standes aus eigener Kraft überwunden hat.“[7]

Ingo Sax verfasste 1993 für das Plattdeutsche Ensemble Bremen das Theaterstück „Marie Christine.“

Im Stadtteil Kattenesch wurde 2002 die Marie-Mindermann-Straße benannt. Der Marie-Mindermann-Weg in Horn-Lehe war doch zu unscheinbar.

Christine Holzner-Rabe

Publikationen, Auswahl:
An die 23 Streiter des Herrn – Worte der Anerkennung und der Bewunderung von einem Gläubigen, Bremen 1851 (anonym)
Die Politik auf der Kanzel. Ein Wort zur Berichtigung. An die Gebildeten aller Stände, Bremen 1851 (anonym)
Aufruf zum Kampf gegen die destruktiven Ideen der Gegenwart. Hervorgerufen durch die neuste Schrift Dulons „Der Tag ist angebrochen“, von einem Anti-Dulonianer, Bremen 1852 (anonym)
Materialia – gesammelt in feierlichen Abendstunden in der Kirche Sanct Wimmerius Simp. Mit bescheidenen Anfragen und Bemerkungen versehen von einem aufmerksamen Zuhörer, Bremen 1852 (anonym)
Briefe über Bremische Zustände, Bremen 1852 (anonym)
Eigenthümlichkeiten der Bremer Neuzeit. In Briefen von Marie Mindermann, Bremen 1852
Heide und Moos. Märchen und Erzählungen, Lübeck 1854
Feldblumen, Erzählungen und Lebensbilder für die reifere Jugend. Sammlung in 6 Bändchen, Glogau 1860
Plattdeutsche Gedichte in Bremischer Mundart, Bremen 1860
Buntes Laub. Sagen, Arabesken und Märchen für die Sprichwörter und Redeweisen, Bremen 1860
Sagen der alten Brema, Bremen 1867
Dramatische Kleinigkeiten, Bremen 1867
Ranken. Eine Sammlung von Gedichten, Bremen 1870
Blumen am Wege, Sammlung von Erzählungen für die reifere Jugend, Bremen 1873
Bis zum Senator, Bremen 1877
Der Achatschleifer und Oswald. Erzählungen für die reifere Jugend, Glogau 1879
Eine Tante. Erzählung, Glogau 1879
Spruchschatz, Bremen 1879
Aus dem Leben. Caroline Lacroix gewidmet, Bremen 1880

Anmerkungen:
[1] Christine Charlotte, geb.1.4.1801, Catharina Louise, geb. 3.5.1803, Johanna Maria, geb. 5.1.1805.
[2] Sterbetafel Maria Dorothea Elisabeth Mindermann, StAB Bremen.
[3] Meinken, Bremen 1967, S.26.
[4] ebd. S.23.
[5] Mindermann: Eigenthümlichkeiten.
[6] Bremer Frauenmuseum: Bremen 1998. S.12.
[7] ebd. S.83.

Literatur und Quellen:
Biebusch, Werner: Revolution und Staatsstreich, Bremen o.J.
Bremer Frauenmuseum e.V. (Hrsg.): Marie Mindermann und die Revolution 1848 in Bremen, Bremen 1998.
Cyrus, Hannelore: Marie Christine Mindermann, in: dies. u.a. (Hrsg.): Bremer Frauen, Bremen 1991, S.40.
Dulon, Rudolph: Vom Kampf um Völkerfreiheit, Bremen 1849.
ders. Unsere Zeit hält Gericht, Bremen 1851.
ders. Der Tag ist angebrochen, Bremen 1852.
Gerhard, Ute/Hannover-Drück, Elisabeth/Schmitter, Romina: Dem Reich der Freiheit werb‘ ich Bürgerinnen“. Die Frauenzeitung von Louise Otto, Frankfurt/M 1979.
Knierim, Truxi: Die Revolution von Fräulein Mindermann. Ein historischer Roman, Bremen 1998.
König, Johann-Günther: Die streitbaren Bremerinnen, Bremen 1981, S.13-54.
Meinken, Metta: Ein „Bremer Frauenzimmer“ im Kampf um Wahrheit und Glauben, Bremen o.J. (1967 Neudruck).
Sax, Ingo: Marie Christine, DVD-Aufzeichnung des Plattdeutschen Ensembles.
StAB, Mappe Mindermann, Familiengeschichtliche Sammlung Maus.
Tardel, Hermann: Marie Mindermann, in: Bremische Biographien des 19.Jahrhunderts, Bremen 1912.
Uhlenhaut, Hilda: Geschichte des Frauen-Erwerbs- und Ausbildungsvereins. 125 Jahre Frauenbildung, Bremen 1990 (unveröffentlicht) S. 17-28.