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Sattler, Juliane Henriette (1829 – 1913)

Juliane Henriette Sattler initiierte und organisierte zahlreiche Bereiche der Sozialarbeit.

11.8.1829 in Bremen – 9.2.1913 in Bremen

Henny wuchs im Herzen Bremens in der damaligen Gartenstraße 2 (heute Kolpingstraße) als Tochter des Kaufmanns und bayrischen Konsuls Siegmund Sattler (1788-1863) und seiner Ehefrau Amalia Charlotte Dorothea, geb. Beste, auf. Sie hatte sieben Geschwister, darunter den Bruder Wilhelm Sattler (1827–1908), dessen Tochter Meta Sattler (1867–1958) Bedeutung in der Sozialhilfe in Bremen hatte. In ihren Jugenderinnerungen schildert Henny anschaulich das von Richtern, Senatoren und Kaufleuten bewohnte, fast „aristokratische Viertel“, in dem aber auch wegen der Nähe des Hofes der Hannoverschen Post die Kutscher mit ihren „Rössern“ ansässig waren.

Das Haus Sattler scheint noch ganz dem Typ des „Großen Hauses“ entsprochen zu haben, umfasste es doch neben den Wohnräumen der Familie das kaufmännische Comptoir des Commissions- und Speditionsgeschäftes und die Lagerräume der Firma; die fünf Lehrlinge gehörten ebenso zum Hauspersonal wie Kinderfrau und Mägde. Die Räume waren spartanisch einfach möbliert. Bei Tisch saßen nur die Erwachsenen und die Jüngsten; die älteren Kinder mussten stehen. Die größeren, besser ausgestatteten Zimmer wurden nur bei besonderen Anlässen geöffnet, der sogenannte „Theesaal“ beispielsweise zu Gesellschaften und als Wochenstube, in der Henny und vier ihrer sieben Geschwister das Licht der Welt erblickten. Straße und Warenlager boten reichlich Gelegenheit zum Spiel mit Geschwistern und Nachbarskindern, wobei Henny weniger durch aufwendige Garderobe eingeschränkt war als andere Mädchen. Sie durfte sogar zusammen mit dem älteren Bruder Wilhelm die Eltern auf einer „großen Reise“ begleiten; sich durch ein Studium auf den Lehrerberuf vorbereiten wie Wilhelm konnte sie freilich nicht. So suchte sie sich auf eigene Faust durch ausgedehnte Aufenthalte in Frankreich auf eine Tätigkeit als Sprachlehrerin vorzubereiten.

Durch ihre Freundinnen Ottilie Hoffmann und Marie Mindermann war sie mit der Frauenbewegung verbunden, und bald trat sie in die Schar der aktiv Tätigen ein.

Als in Bremen nach dem Berliner Vorbild 1867 der Verein zur Erweiterung des weiblichen Arbeitsgebiets gegründet werden sollte, wurde sie neben etlichen Männern in den Vorstand berufen. Ein Jahr nach seiner Gründung umfasste der Verein eine Nachweisanstalt für weibliche Arbeit, eine Näh- und eine Fortbildungsschule. Ob die letztgenannte vom Verein selbst betrieben werden sollte, wurde zum Streitpunkt zwischen den Männern und Frauen des Vorstands, worauf sich die Frauen zusammenschlossen und die Schule in eigener Regie übernahmen. Henny S. wurde Leiterin und kümmerte sich insbesondere um die Ausbildung von Kinderpflegerinnen.

Auch an der Gründung des Frauenbildungsvereins, der an Sonntagabenden ein aus belehrenden Vorträgen und künstlerischen Darbietungen gemischtes Programm anbot, war sie beteiligt.

Auf der Berliner Frauenkonferenz von 1869 wurde sie für die Idee gewonnen, in Bremen eine Ausbildungsmöglichkeit für weltliche Schwestern zu schaffen. Gelegenheit dazu fand sich in dem 1876 gegründeten Vereinskrankenhaus vom Roten Kreuz; da aber aus der Zielgruppe der protestantischen Töchter aus gutem Hause sich keine meldete, ließ sie sich selbst zur Schwester ausbilden und gab dann als Oberin ihr Wissen weiter an die Schülerinnen. Zum Aufbau ähnlicher Krankenhäuser vom Roten Kreuz wurde sie auch nach Magdeburg und nach Schönbeck/Elbe gerufen.

1889 stellte sie sich wieder für eine neue Aufgabe zur Verfügung, als ein Wöchnerinnenasyl gegründet werden sollte und das Projekt daran zu scheitern drohte, dass sich keine Frau aus bürgerlichen Kreisen als Hebamme zur Verfügung stellte. Da erwarb sie – immerhin schon 60jährig – die Qualifikation als Hebamme, ermöglichte so die Gründung und war jahrelang Leiterin des Asyls. Auch als 1897 in Bremen eine Auskunftsstelle für Wohltätigkeit geschaffen wurde, hatte sie die entscheidenden Impulse gegeben. Als die große Initiatorin organisierter bürgerlicher Sozialarbeit 1913 starb, hielt Pastor Steudel, Mitglied des Monistenbundes[1] und Verfechter freireligiöser Ideen, die Trauerfeier. Er sagte über sie: „Sie suchte alle besonders noch im weiblichen Geschlecht brachliegenden Kräfte zusammenzuschließen und hatte so früh schon den Gedanken erfasst, der nun die Ethik unseres Zeitalters beherrscht … Als eine Führerin in der Frauenbewegung und der sozialen Vereinstätigkeit hat sie bahnbrechend gewirkt.“[2]

Anmerkungen:
[1] Der Deutsche Monistenbund war eine freidenkerische Organisation des frühen 20.Jhd. Er wollte durch ganzheitliche Naturphilosophie, wissenschaftlichen Positivismus und Materialismus eine umfassende Welterklärung vorlegen. Die Grundausrichtung war internationalistisch und pazifistisch. In der Frühzeit der Weimarer Republik kam es zu verschiedenen Abspaltungen. Der Bund wurde im Dezember 1933 von den Nationalsozialisten verboten und aufgelöst.
[2] BN 9.2.1913.

Literatur und Quellen:
Aus den Jugenderinnerungen von Henny Sattler, in: Bremer Nachrichten 17.4. u. 21.4.1956.
Bremer Nachrichten 9.2.1913 (Nachruf).
Jugenderinnerungen StAB 7,47 – 11.
Meyer Renschhausen: Elisabeth: Weibliche Kultur und soziale Arbeit. Eine Geschichte der Frauenbewegung am Beispiel Bremens 1810 – 1927, Köln/Wien 1989.

Elisabeth Hannover-Drück