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Frauen im Sport (1)

Mädchen und Frauen sind ebenso gerne körperlich und sportlich aktiv wie Jungen und Männer, doch es war keineswegs schon immer selbstverständlich, dass Mädchen und Frauen turnen oder Sport treiben konnten. Verpönt von der Familie und Gesellschaft: „Das schickt sich nicht“ konnten Frauen es kaum wagen, diesen Sittenkodex zu ignorieren. Erst mit der Gründung von Turnvereinen im 19.Jahrhundert entstand eine Art geschützter Raum, in dem Turnen, Sport, Wettkämpfe und Leistungssport für Frauen möglich wurden. Nach Gründung dieser Vereine mussten aber noch viele weitere Jahre vergehen, bis Turnriegen für Frauen gegründet werden konnten.

Erste Bremer Damenriege 1893 mit ihrem Gründer Arno Kunath ©Familienarchiv H.Hauser

Heute sind sie aus den Sportvereinen nicht mehr wegzudenken, sie sind aktive Sportlerinnen, oftmals in größerer Anzahl Mitglieder, stellen mehr aktive Trainerinnen als ihre männlichen Kollegen und gestalten das Vereinsleben. Und sie sind begeisterte und fachkundige Zuschauerinnen bei Sportveranstaltungen in Turnhallen oder auf Sportplätzen wie dem 1909 vom Allgemeinen Bremer Turn- und Sportverein erbauten Sportplatz mit Holztribüne, dem heutigen Weserstadion.

Zur Entwicklung des Turn- und Sportangebotes für Mädchen und Frauen hat auch Arno Kunath (1864 – 1936)[1] wesentlich beigetragen. Er gründete 1887 in Leipzig Deutschlands erste Damenriege im Sport, wenige Jahre später war er beim Allgemeinen Bremer Turnverein von 1860 (ABTV)[2] als Turn- und Seminarlehrer und am Janson-Mädchengymnasium angestellt. Hier wird er die jugendlichen und später berühmten Bremer Sportlerinnen Selma Grieme und Bertha Menkens gekannt haben.

Lehrerkollegium der Janson-Schule, Arno Kunath oben 2.v.r. ©Familienarchiv H.Hauser

Bereits in den 1890-er Jahren verfasste er ein Vereinsstatut, das den Frauen gleiche Rechte im Verein einräumen sollte. Das war unter den Herren des Vereins damals aber nicht mehrheitsfähig, erst zwanzig Jahre später wurde es angenommen. Doch Arno Kunath setzte sich dafür ein, dass sportinteressierte Mädchen und Frauen im Verein aktiv sein konnten, was bisher undenkbar war, und gründete hier die erste Damenriege, inzwischen die zehnte in Deutschland. Der Übungsbetrieb wurde mit 50 sportbegeisterten Frauen aufgenommen.

Vereinsturnhalle mit Damenabteilungen und Gründer Arno Kunath ©Familienarchiv H.Hauser

Damit war der ABTV der erste Verein in Bremen und im gesamten norddeutschen Raum, der 1892 das Frauenturnen einführte. Bei der Bremer Turnvereinigung von 1877 (BTV 1877) gab es die ersten Damen-Turnriegen erst 1898 – 21 Jahre nach Gründung des Vereins. Und erst 1906 fand hier erstmals ein Schauturnen mit Frauen und Männern statt, was zu jener Zeit eine Besonderheit war, denn andernorts wurden Turnerinnen  noch vor der Öffentlichkeit verborgen. So wurden bei einem Schauturnen der Frauen 1903 die Turnhallenfenster mit Vorhängen verdeckt, damit kein Unbefugter einen Blick auf Damenbeine werfen konnte. [3]

Es galt, Sichtweisen konservativer Männer zu überwinden, die das Geräteturnen für Frauen verbieten lassen wollten, weil es „die weibliche Scham und Sittsamkeit und den Anstand in unverantwortlicher Weise“[4] verletze. Neben einer unterschwelligen Ablehnung gegenüber den Frauen im Sport gab es von Seiten der Ärzte ganz offene Kritik und Arno Kunath legte sich mit Bremer Frauenärzten an, die starke Bedenken gegen Spreiz-und Grätschübungen hatten.[5]

Turnfeste, mit Vorturnerinnen auf Tischen (u.) ©Familienarchiv H.Hauser

Ihm ging es darum, die Frauen und Mädchen aus bürgerlichen Zwängen zu befreien und ihnen Bewegungsfreiheit zu ermöglichen, und er folgte damit der aufkommenden Bewegung gegen Korsettzwang und für Reformkleidung.

Turnerin am „Pferd“ – ©Familienarchiv H.Hauser

Die Damenabteilungen im Sport wurden von männlichen Trainern geleitet. Mit der Entwicklung des Frauenturnens wurde nun verlangt, dass auch Frauen zu Trainerinnen ausgebildet werden sollten. So wurden an der Georg-Wichmann-Turnschule ab 1910 auch Ausbildungskurse für Frauen angeboten. Das Frauenturnen organisierte sich: die Turnerinnenabteilungen konnten nun auch ihre Vertreterinnen wählen.

Da Arno Kunath zahlreiche Turnbücher (z.B. Das Vorturnerinnenbuch) schrieb, konnten sich seine Ideen überall in Deutschland verbreiten. 1919, in der schweren Zeit nach dem 1.Weltkrieg, wurde er Leiter der Deutschen Turnerschaft und sorgte auch dafür, dass 1923 beim Deutschen Turnfest in München zum ersten Mal Frauen mitmachen durften und auch beim Festmarsch auftraten. An den olympischen Spielen konnten sie dann ab 1924 teilnehmen.

Turnerinnen vor Bremer Kulisse – ©Familienarchiv H.Hauser

Neben seinem unermüdlichen Einsatz für das Frauen- und Kinderturnen war Arno Kunath in vielen weiteren Bereichen aktiv: Er gilt als Schöpfer der deutschen Turnsprache, weil er die Übungen systematisierte und sich damit einheitliche Begriffe im deutschen Sprachraum verbreiten konnten. Er erfand Strichmännchen zur Verdeutlichung der Übungen, die Vorläufer der Piktogramme. Und er gründete das Altersturnen, ein frühes Fitness-Programm. Die von ihm als freie Vereinigung gegründete „Turnfahrt“, deren Zwangseingliederung in das NS-Regime er 1933 verhindern konnte, besteht heute noch als „Arno-Kunath-Wanderriege“.

Ausflug mit Turnerinnen – ©Familienarchiv H.Hauser

Um seine Gymnastikstunden für die Damen schwungvoll zu gestalten, sammelte er Tanz- und Marschmusiknoten und setzte sich selber dazu ans Klavier. Gelegentlich komponierte er auch eigene Stücke.

Turnen mit Musikbegleitung, Arno Kunath am Klavier – ©Familienarchiv H.Hauser

Über das Turnen hinaus war er in dem von ihm mitgegründeten Bremer Alpenverein aktiv und betätigte sich als Mitglied der Bremer Photographischen Gesellschaft auch fotografisch: so dokumentierte er seine Arbeit und hinterließ eine umfangreiche Sammlung.[6]

Er ist, wie später auch seine Angehörigen und die berühmte Tochter Hanna, im Familiengrab auf dem Riensberger Friedhof beerdigt. Der große Sandsteingrabstein mit seinem Relief steht heute – leider ohne Name und Hinweisinformationen – in einer Ecke im Foyer der Turnhalle des ATB am Baumschulenweg. Im Stadtteil Peterswerder, wo er mit seiner Familie in der Wernigeroder Straße gelebt hatte, ist die Kunathstraße nach ihm benannt.

Was im Frauensport mit dem Turnen zum Ende des 19.Jahrhunderts zunächst vereinzelt in einigen Städten begann, sich dann im beginnenden 20.Jahrhundert auf ganz Deutschland ausweitete, wurde durch Sportarten – zunächst mit der Leichtathletik und dem Schwimmen ergänzt. Frauen konnten bei Meisterschaften ihre Kräfte messen, ihr Können zeigen, dann bei den ersten Frauen-Weltspielen 1921 antreten, 1922 in Paris schon als Frauen-Olympiade bezeichnet, 1926 in Göteborg – wieder Frauen-Weltspiele genannt, 1930 in Prag und 1934 in London. Zur Olympiade 1928 in Amsterdam fanden auch Frauen-Wettkämpfe statt, an denen 101 Sportlerinnen aus 18 Nationen teilnahmen, darunter Deutschland mit 16 – gleich nach den USA mit 17 Sportlerinnen – darunter Leni Fischer-Schmidt, die nach ihrem Weltrekord 1924 im 100-Meter-Lauf weitere Rekorde und Medaillen nach Bremen brachte.

Erst ab der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts, nach dem 2.Weltkrieg und der Überwindung der größten Nöte der Nachkriegszeit, konnten sich Frauen wieder aktiv ins Vereinsleben einbringen. So wurden Frauenmannschaften in den Ballspieldisziplinen eingerichtet: Faustball, Prellball, Volleyball, Handball, und aktive Frauen erweiterten kontinuierlich das Vereinsangebot für Frauen: sie kreierten das Mutter-Kind-Turnen, Gymnastik für unterschiedliche Interessenslagen, Fähigkeiten und Altersgruppen und konzipierten neben Sportangeboten für Frauen und Männer gemeinsam auch Angebote für den Breiten- und Gesundheitssport wie: „Trimmtrab ins Grüne“, Lauf- und Walkingtreffs.

Inzwischen gibt es viele weitere Sportkurse, Sportarten und Fitness- und Gymnastik-Angebote, bei denen Frauen die Mehrzahl der Teilnehmenden bilden.[7]

Wenn Frauen heute in vielen Sportarten aktiv sein können, an Wettkämpfen teilnehmen, Höchstleistungen vollbringen und mit Medaillen ausgezeichnet werden können, so ist doch die Gleichberechtigung im Sport noch nicht erreicht: immer noch sind Frauen von einigen Sportarten ausgeschlossen, wie von der tour de france. Auch Ehrungen für Sportlerinnen für ihre anerkennungswürdigen Leistungen in Form von Straßen- oder Sportstättenbenennungen gibt es zu selten. Auch eine gerechte Verteilung der finanziellen Mittel könnte zu mehr Gleichberechtigung im Sport führen, wenn für Sportarten, an denen überwiegend oder ausschließlich Frauen teilnehmen, gleich viel Geld investiert wird wie für Sportarten, die überwiegend oder ausschließlich von Männern betrieben werden. Dabei ist auch eine gegebene kostenintensivere Ausstattung einiger Sportarten zu berücksichtigen.[8]

Regina Contzen und Irmgard Lindenthal
März 2020

Anmerkungen:
[1] Vater von Hanna Kunath, der ersten Bremer Pilotin.
[2] Gegründet mit Fertigstellung der Turnhalle im Jahr 1860, heute „Allgemeiner Turn- und Sportverein Bremen von 1860“ – kurz: „Bremen 1860″.
[3] Chroniken der BTV 1877: 100 Jahre BTV 1877, 125 Jahre BT 1877.
[4] S. Lindenthal, Irmgard: Frauen im Sport, in: BTV Spiegel Herbst – Winter 2018.
[5] Ebda.
[6] Familienarchiv Hadwig Hauser, Friedrich-Ludwig-Jahn-Museum in Freyburg an der Unstrut, Niedersächsisches Institut für Sportgeschichte in Hannover.
[7] Hier: BTV 1877, ähnlich in anderen Sportvereinen.
[8] Lindenthal, Irmgard: Frauen im Sport, 2018.