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Rütten, Elsbeth (1948-2020)

25.Mai 1948 in Aachen – 27.Mai 2020 in Bremen

Elsbeth Rütten hat sich für hilfsbedürftige Menschen eingesetzt.

„Setz dich ein. Verharre nicht. Wenn du Ungerechtigkeiten feststellst, formuliere sie. Suche dir Mitstreiter:innen, verbünde und organisiere dich. Setz dich ein.“ lautete Elsbeth Rüttens Empfehlung.

Elsbeth Rütten war vieles: Sie war zweimal verheiratet und Mutter eines Sohns. Sie war Krankenschwester – so wie ihre Mutter. Sie war Schwester. Sie war vielseitig interessiert und arbeitete die Geschichte ihrer Familie auf. Als junger Mensch durchlebte sie „Jahre des Protests“, versuchte das Weltgeschehen und ihre eigene Welt zu verstehen und las sehr viel. Sie war hartnäckig im guten Sinne. Sie war liebevoll.

Sie bemühte sich immer um ihre Mitmenschen und versuchte sich und ihr Leben vor allem in den letzten Jahren ihres Lebens nicht in den Mittelpunkt zu stellen. Andere hatten immer Vorrang. Schon während des Bosnienkrieges (1992 – 1995) arbeitet sie als Krankenschwester in einer Hilfsorganisation für geflüchtete Menschen. Ende der 1990er-Jahre war sie Sprecherin des Vereins „Mehr Demokratie“.

Dann wurde sie krank und musste zweimal am Fuß operiert werden. Mit voller Härte erlebte sie die Mängel im Gesundheitswesen. Sie war selber auf Hilfe angewiesen. Denn infolge der seit 2004 eingeführten Fallpauschalen werden Patient:innen möglichst früh aus dem Krankenhaus entlassen, so auch Elsbeth Rütten. Sie musste sich ihre Hilfe im Haushalt eigens organisieren – und das mit Liegegips. Auf allen Vieren krabbelte sie durch ihre Wohnung. Manch einer könnte meinen, dass so eine Erfahrung zur Resignation führte, so nicht bei Elsbeth Rütten. Jetzt war sie erst Recht entflammt, eine große Ungerechtigkeit galt es beharrlich zu bekämpfen. Sie initiierte eine Petition, die die Kann-Bestimmung auf eine Haushaltshilfe in eine Muss-Bestimmung neu gesetzlich regeln sollte. Zur Anhörung im Gesundheitsausschuss der Bundesregierung über das neue Versorgungsstrukturgesetz wurde sie eingeladen und angehört. Elsbeth Rütten war aufgeregt, regelte die Angelegenheit souverän. 2012 trat das neue Gesetz in Kraft.

Damit hatte Elsbeth Rütten vielen Menschen geholfen. Andere Versorgungslücken versuchte sie seit 2009 nach der Gründung ihres Vereins „Ambulanten Versorgungsbrücken e.V.“ mit Sitz in der Humboldtstraße 126 in Bremen aufzudecken und sich entsprechend Lösungen zu überlegen, um Versorgungsbrücken zu bauen. Bis zu ihrem Tod, noch vom Krankenbett aus, machte sie sich Sorgen um andere und überlegte sich Initiativen, um die Situation der anderen zu verbessern.

Sie wusste, was sie wollte und sie setzte sich durch. Sie verhandelte, organisierte und setzte sich für Menschen ein. „Kenne deine Rolle und nutze sie“ war ein weiterer Spruch, den sie vielen immer wieder mit auf den Weg gab. Elsbeth Rütten hörte gewissenhaft zu, machte sich Notizen und hatte häufig spontan Lösungsvorschläge. Meistens machte sie sich über Tage Gedanken und begleitete die Fragenden über Wochen, Monate oder Jahre hinaus.

Sie war leidenschaftlich, hilfsbereit, schlau und humorvoll. Sie hatte ein großes Herz, konnte Grenzen setzen und sagt auch die Dinge, die man vielleicht nicht so gerne hören möchte. Sie gab Menschen eine zweite Chance.

Ihr Leben hat viele Leben andere Menschen geprägt und prägt es noch heute, obwohl die meisten Menschen sie gar nicht kennen. Ohne Elsbeth Rütten würden noch heute viele Menschen deutlich schlechter versorgt sein. Und noch heute kommen Menschen in das Büro der Ambulanten Versorgungsbrücken e.V., die sich an sie erinnern wollen und erzählen, wie sie ihnen half. Wir werden ihre Arbeit weiterführen und die Impulse von Elsbeth Rütten weitergeben, die nächsten fragenden und suchenden Menschen auf ihren Wegen begleiten. Sie ist ein Vorbild für mehr Solidarität, für Menschlichkeit und fürs Lösungen finden. Sie war eine Krankenschwester, Schwester, Lehrerin, Zuhörerin und Kämpferin. Sie fehlt.

Ricarda Möller
Nachfolgerin von Elsbeth Rütten, seit Januar 2020 geschäftsführende Vorständin
Oktober 2021