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Kornfeld, Lotte (1886 – 1974)

Lotte Kornfeld (1896 – 1974)

13.10.1886 in Berlin – 8.7.1974 in Princeton, USA

Lotte wuchs in gutbürgerlichen Verhältnissen als Tochter assimilierter deutscher Juden auf. Von 1911 bis 1914 besuchte sie das Landerziehungsheim Birkenwerder, von Frida Winckelmann im Geiste der pädagogischen Reformbewegung geleitet. Um Winckelmann gruppierten sich prominente sozialistische Aktivisten. Hier lernte Lotte Rosa und Karl Radek kennen. Radek (1885 – 1939) sah sich als polnischer Jude und kommunistisch orientierter Publizist, der gern provozierte, häufig Angriffen ausgesetzt. 1908 ging er nach Bremen, wo er Artikel für die linksgerichtete Bremer Bürgerzeitung schrieb. 1914 verließ er Bremen und schloss sich in der Schweiz der kommunistischen Exilgruppe um Lenin und Trotzki an.

Lotte erfasste eine jugendliche Schwärmerei für Karl Radek, der sie intellektuell förderte, aber ihre Gefühle nicht erwiderte. Da sie sich zu dieser Zeit in Lausanne aufhielt, wurde sie von Radek als illegaler Kurier eingesetzt und im Spätsommer 1916 beauftragt, zu einem konspirativen Treffen mit Johann Knief nach Hannover zu reisen. Diese Begegnung war der Beginn einer leidenschaftlichen Liebesbeziehung. Seine 1908 geschlossene Ehe war schon länger zerrüttet. Seine Frau hatte kein Verständnis dafür, dass er 1911 aus Enttäuschung über die Bremer Schulpolitik den Schuldienst verließ, um sich ganz seiner journalistischen Tätigkeit zu widmen, später auch die Redakteursstelle in der Bremer Bürgerzeitung aufgab. All dies bedeutete für seine Familie große Entbehrungen.

Bei einem mehrstündigen Sparziergang öffnete ihr Knief sein Herz. Später schrieb er, er habe „eine fast erdrückende Fülle von Lust und Freude, an Lebensjubel ohnegleichen“ erfahren. Der eher verschlossene Mann fand in der 16 Jahre jüngeren Lotte, dem – wie er selbst erstaunt feststellte – „jungen Küken“, eine intelligente, interessierte und bewundernde Zuhörerin. Knief wirkte äußerlich eher bieder und gesetzt. Er war äußerst sensibel, grübelte viel und neigte zu psychischen Krisen, was mehrfach Klinikaufenthalte nötig machte. Diese Krisen waren auch der Grund für seine zeitweise Befreiung vom Kriegsdienst.

Von nun an waren Lotte und Johann unzertrennlich. Anfang 1917 zog Lotte mit ihm nach Bremen und wurde unbezahlte Geschäftsführerin der von Knief 1916 gegründeten linksradikalen Zeitschrift „Arbeiterpolitik“, für die sie auch Artikel verfasste. Dank eines großelterlichen Erbes war sie finanziell unabhängig. Sie hat das gemeinsame Leben weitgehend zu einem großen Teil finanziert.

Knief war überzeugter Marxist und Anhänger der sowjetischen Politik. Als führender Kopf der Bremer Linksradikalen (1918 umbenannt in Internationale Kommunisten Deutschlands) war er nicht zu Kompromissen bereit und nahm immer radikalere Positionen ein. Als die SPD-Fraktion 1914 im Reichstag den Kriegskrediten zustimmte (der sogenannte Burgfrieden), setzte er sich erstmals von seiner Partei ab. Er vertrat die Meinung, dass allein die Arbeiterklasse in Form von unabhängigen Gewerkschaften eine legitime Volksvertretung bilden könne. Dies solle mit Hilfe von Massenstreiks geschehen. Parlamentarismus und organisierte Gewerkschaften lehnte er ab. Schließlich forderte er sogar die Bewaffnung des Proletariats. Lotte übernahm unbesehen seine Thesen. So schrieb sie in einem Brief: „alles ist nur noch eine Frage der Kanonen.“ Sie war überzeugt, dass nach der Nationalversammlung am 19.Januar 1919 überall im Reich der Aufstand der revolutionären Massen bevorstehen würde.

Im April 1917 musste Knief eine Verhaftung und auch eine Nachmusterung zum Kriegsdienst befürchten. Lotte und Johann entschlossen sich zur Flucht, inkognito hielten sie sich in Bayern auf, bis sie denunziert und nach Berlin gebracht und inhaftiert wurden. Aus dieser Zeit stammen Kniefs Briefe aus dem Gefängnis, die Lotte 1920 herausgegeben hat.

Mit der Ausrufung der Räterepublik in Bremen am 6.November 1918 kam für Knief die Befreiung. Nun konnte er wieder politisch aktiv werden. Es folgten Monate hektischer Aktivität: Gründung der Bremer Gruppe der Kommunisten Deutschlands, Organisation von Massendemonstrationen, Mitarbeit im Arbeiterrat, Gründung der neuen marxistischen Tageszeitung “Der Kommunist“. Auch hier übernahm Lotte wichtige Aufgaben. Im Dezember 1918 verfasste sie unter der Überschrift „Entwicklungslinien“ einen Grundsatzaufsatz zu den Zukunftsaussichten der Revolution.

Anfang Januar 1919 erschien Kniefs letzter Artikel im „Kommunist“. Eine verschleppte Blinddarmentzündung macht eine Notoperation und später noch weitere Eingriffe erforderlich. Lotte finanzierte aus ihrem Vermögen den Aufenthalt in einer Privatklinik, sie wich wochenlang nicht von seiner Seite. Am 6.April 1919 starb er an einer Blutvergiftung. Seinem Trauerzug folgten Tausende Anhänger. Für Lotte brach eine Welt zusammen. „Ich war wund, starr vor Schmerz, fast erstickt an ungeweinten Tränen“, schreibt sie später.

Lotte zog zu ihren Freunden Martha und Heinrich Vogeler nach Worpswede. Vogeler hatte dort einen Arbeiterrat nach Bremer Vorbild gegründet. Lotte trat der Worpsweder Ortsgruppe der KPD bei. Auf Vogelers Barkenhoff-Grundstück gründete sie eine Art Kommune, wo sie mit wechselnden Freunden lebte. Einer von ihnen war Friedrich Stucke, den sie im September 1919 heiratete. Die Ehe wurde 1921 aber bereits wieder geschieden. Im April 1921 war der Sohn Gerhard geboren worden, den sie bei Pflegeeltern in Worpswede zurückließ, als sie Ende 1921 mit Freundinnen nach Heidelberg zog. Dort lernte sie Fritz Schlesinger kennen und wurde 1923 seine Ehefrau. Er stammte wie sie aus einer jüdischen Berliner Familie. Diese Beziehung mit einem verlässlichen Partner ließ sie ihre jugendlich-schwärmerischen Vorstellungen aus Bremer Zeiten in realistischerem Licht sehen. In späteren Briefen 1930 äußerte sie sich sehr kritisch zu KPD und UdSSR.

Angesichts der nationalsozialistischen Judenhetze verließen Lotte und Fritz Deutschland 1936 und zogen nach Florenz. Als sich 1938 auch in Italien antisemitische Tendenzen ausweiteten, mussten sie erneut umziehen. Mit Hilfe von Freunden gelang ihnen – über Zwischenstationen in der Schweiz und in England – Anfang 1940 schließlich die Einreise in die USA. Sie waren jetzt zwar in Sicherheit, aber der Kampf ums Überleben war hart. Die akademische Ausbildung von Fritz war wertlos, er ließ sich zum Buchhalter ausbilden. Lotte gab Sprachunterricht, später fand sie ein ungewöhnliches neues Betätigungsfeld: sie züchtete erfolgreich braune Zwergpudel.

Nach dem Tod von Fritz 1965 vernichtete Lotte alle von Knief verbliebenen Papiere, auch sein Tagebuch. An privaten Zeugnissen sind allein die 1920 von ihr herausgegebenen „Briefe aus dem Gefängnis“ erhalten.

Ihr Sohn Thomas (geb. 1925) war Politikprofessor in Princeton, ihr Sohn Jan (geb. 1935) wurde Richter. Die Söhne beherrschten kein Deutsch, überhaupt wurde zuhause kaum über die Vergangenheit der Eltern gesprochen. Die Familie gehörte zur sogenannten „schweigenden Generation“ eingewanderter Juden.

Regelmäßig reiste Lotte nach Europa, um sich mit alten Freunden aus Birkenwerder und Worpswede zu treffen. Dabei lernte sie Gustav Steinschneider (1899-1981) kennen, eine schillernde Persönlichkeit aus Boheme-Kreisen. Er zog für kurze Zeit zu ihr nach Princeton, bis die Beziehung 1971 zerbrach.

Lotte Kornfeld erlitt 1969 einen Herzinfarkt, von dem sie sich nicht mehr erholte. Sie starb am 8.Juli 1974 in Princeton. Sie ist jahrzehntelang ausschließlich als Gefährtin des führenden Bremer Linksradikalen und marxistischen Theoretikers Johann Knief gewürdigt worden. Erst 2009 erschien eine ausführliche Biografie, die sich auch mit ihrem weiteren Werdegang befasste.

Quellen

„Arbeiterpolitik“, Jahrgänge 1916 bis 1919
Gerhard Engel: Johann Knief – ein unvollendetes Leben 2011
Johann Knief: Briefe aus dem Gefängnis 1920
Karin Kuckuk: Im Schatten der Revolution, Lotte Kornfeld, 2008

Marion Reich (2020)